****       Sapere aude!        ****        
                 
Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
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 Wo seid Ihr geblieben, Ihr Vögel, Frösche und Fliegen?
Prof. Dr. Gerald Wolf


Wer der Welt offenen Auges begegnet, sieht neben so vielem anderen ihre Natur, sieht Vögel, Frösche und Fliegen. Und die bunte Welt der Pflanzen. Vieles ist mittlerweile verschwunden, was man vor Jahrzehnten und vor vielen, vielen Jahrhunderten gar hätte sehen können. Germanien, so der römische Geschichtsschreiber Tacitus, “mache mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck“. Das hat sich gründlich geändert. Schon seit dem früheren Mittelalter, als sich hierzulande immer mehr Menschen breitmachten. Kleinere Ackerflächen entstanden, bunte Wiesen, und die Artenvielfalt wuchs. Haustiere trugen das ihre dazu bei, indem sie die gerodeten Flächen kurzhielten und auf ihre sehr natürliche Weise düngten. Überall raschelte es, kroch es, flog es. Natur eben. Zum Teil auch war das noch so, als die Älteren von heute Kinder waren. Und die Jüngeren von heute? Die wissen womöglich noch nicht einmal, wovon hier die Rede ist. Wenn überhaupt Natur, dann können sie sich diese einfach auf digitalem Wege reinziehen. Für deren Wahrnehmung sorgt mühefrei der heimische Bildschirm.
Gleichviel, für Deutschlands Natur werden 50 000 Tier- und 4 000 Pflanzenarten angegeben. Allerdings weiß niemand verbindlich zu sagen, wie viele davon ausgestorben sind. Und, wenn es um die Häufigkeit bzw. Seltenheit der verbliebenen Tier- oder Pflanzenarten geht, „nichts Genaues weiß man nicht“.


Selten oder ausgestorben
Von Insektensterben ist die Rede und von deren Seltenwerden. Blühende Sträucher, gerade jetzt im Frühling, waren einst ein Eldorado für Scharen fliegender Insekten. Heute sieht man, wenn überhaupt welche, nur noch einzelne Tiere. Immerhin. Da finden sich verschiedene Arten von Bienen und Wespen, von Hummeln und Käfern, Schmetterlingen, Zikaden, Milben, Blattläusen und Wanzen. - Wanzen? Richtig, aber nicht die Bettwanze. Sie gehört zwar zu der hierzulande knapp 1000 Arten umfassenden Insektenordnung der Hemipteren, der Wanzen, aber nicht zu den Blütenbesuchern. Vor 30 Jahren war sie bei uns fast ausgestorben, heute erfreut sie sich eines beachtlichen Comebacks. Für Deutschland rechnet man mit knapp 1 000 Wanzenarten. Darunter die prächtig schwarz-rot gezeichnete Streifenwanze. Sie ist in manchen Gegenden recht häufig, andere Arten sind dafür selten. Sogar extrem selten, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben (https://www.rote-liste-zentrum.de/de/Wanzen-Heteroptera-2081.html).
Und so ist es mit vielen weiteren Tierarten. Gibt es die eine oder andere überhaupt noch, fragen sich die Experten. Im Einzelnen sorgen die Roten Listen für eine Auskunft, wenn auch häufig für eine recht lückenhafte:
Rote Liste, Wikipedia
Ein anderes Beispiel die Lurche und Kriechtiere hier in Sachsen-Anhalt (Kapitel_13-14_Lurche-Kriechtiere_Rote_Listen_LSA_BF.pdf (sachsen-anhalt.de).
Ähnlich skandalös sieht es für fast alle anderen Tiergruppen aus, auch für viele unserer Pflanzenarten. Um darüber besorgt zu sein, ist Kenntnis vorausgesetzt, nicht politische Schwafelei. So auch braucht man ordentliche Kenntnisse, um zu sehen, was da auf einer bunten Wiese so alles blüht. Heute bestehen Wiesen zumeist nur aus einer einzigen Grasart, einer besonders ergiebigen. Für die meisten ist das kein Grund, sich zu ärgern - Hauptsache schön grün! Erst recht bleibt das Leben im Wassertropfen den meisten verborgen. Da fehlt nicht nur ein Mikroskop, sondern auch der Drang, dieses Leben kennenzulernen. Ausgesprochenen Spezialisten bleibt es vorbehalten, etwas über die Häufigkeit der einzelnen Arten der Gelb-, Gelbgrün- und Kieselalgen zu sagen, oder über die der Wimpertierchen und Rädertierchen. Sind davon welche selten geworden? Oder gar ausgestorben? Wen schon berührt das!


O Gott, der Klimawandel!
Wenn es um die Gefährdung unserer Natur geht, weiß ein jeder: Der Klimawandel ist es! Tag für Tag und überall kann man das hören und lesen. Und deswegen Klimaschutz! - Klima, was eigentlich ist das? Nun, was Wetter ist, weiß jeder. Fühlen kann man es, messen.  Aber Klima?
Einem Kollegen des Autors, einem Physiker, schwillt regelmäßig ein Gefäß auf der Stirn, wenn er auch nur von Klima hört. Nicht müde wird er zu behaupten, dass man das Gerede vom Klima und dessen Wandel aus politischen Gründen braucht. Als Alibi. Bei den riesigen Problemen von heute und dem Versagen in der Politik auf fast allen Feldern helfen, wenn sonst nichts, die Klimasorgen. Und der Kollege weiter dann: Klima sei eben nicht einfach das Wetter und dessen Kapriolen, sondern eine rein statistische Größe über das Wetter. Und das, bitte schön, über viele, viele Jahrzehnte hin gemessen. Um verlässliche Durchschnittswerte also handele es sich. Als der ich, der Autor, versuchte, etwas einzuwerfen, wurde der Kollege fuchtig und betonte, dass sich die Durchschnittstemperatur bei uns über die letzten hundert Jahre hin gerade mal um 1 Grad erhöht habe. Und von wegen Kohlenstoffdioxid, CO2: Nicht mehr als drei bis fünf Prozent speise der Mensch in die Atmosphäre ein. Hinzu käme, dass die Absorptionskurve für die Wärmestrahlung in puncto Ce-O-zwei bereits im Sättigungsbereich sei. - Im Sättigungsbereich? - Jawoll! So der Kollege. Selbst bei einer Verdopplung der atmosphärischen CO2-Konzentration würde das kaum eine Auswirkung auf die globale Temperatur haben. Und diese sei in der letzten Zeit trotz steigender CO2-Konzentration sogar leicht gesunken!


Tja, was denn dann?
Was denn dann, wenn es ursächlich weder das CO2 noch die Erdtemperatur noch überhaupt der Klimawandel sind, die unserer Natur so an den Kragen gehen? Sowohl der heimischen Natur als auch der sonst wo in der Welt. Fernab politischer Statements werden hierfür an erster Stelle die Intensivierung der Land- wie auch die der Forstwirtschaft genannt. Ökonomische Aspekte zwingen dazu, zum anderen das Bevölkerungswachstum. Für die weltweit acht Milliarden Menschen von heute muss eben nun mal anders gesorgt werden als für die 4 Milliarden von 1974. Dementsprechend ist es um die Natur bestellt. Um wenigstens einen Eindruck von ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren, bieten die meisten Länder Nationalparks an. Restlandschaften sind das zwar, zumeist aber recht erfolgreiche Unternehmungen. Zudem sind sie tourismusfördernd, mithin für die jeweiligen Länder ein lukratives Geschäft.
Aber kaum wohl für Deutschland und andere hochentwickelte Staaten. Nicht die Bewahrung der Natur steht hier obenan, sondern deren Nutzung. Und das in Gestalt von Forsten, die oft nur aus schnell wachsenden Kiefern und Fichten bestehen, oder von  Feldern, die sich mit ihren Monokulturen bis zum Horizont erstrecken. Größtenteils gedeihen hier Getreide und „Energiepflanzen“. Hier wie dort müssen konkurrierende Pflanzen und Tiere („Unkräuter“, „Schädlinge“) weg. Und das so effektiv wie nur möglich. Sei es auf mechanischem Wege oder durch Gifte. Letztere wirken nicht nur dort, wo sie eingesetzt werden, sondern bringen auch anderswo Tiere und Pflanzen um.
Wasser sorgt ebenfalls für Probleme ökologischer Art. Ist es mal zu viel, dann dienen heutzutage Drainagesysteme für eine rasche Entsorgung. Damit geht es der Staunässe an den Kragen, aber auch Tümpeln und Bächen. Und damit all den Tieren und Pflanzen, die dort leben. Bäche werden begradigt, um der Natur so viel wie möglich nutzbares Terrain abzuringen. Sumpfige Wiesen oder Moore gar, weg damit! Erfreulich: Hier und da einmal eine Wiedervernässung - ein Frondienst für den Naturschutzgedanken, nachdem dieser jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Nicht zuletzt von den Grünen, die sich allzu gern als Freunde der Natur verstanden wissen wollen. Aber eben auch als erfolgreiche Politiker. Und denen sind mit „Energiepflanzen“ bestellte Felder wichtiger als Sümpfe und Moore. Unter anderem, um weniger auf die Nutzung fossiler Energieträger angewiesen zu sein. Nicht nur um Kohle geht es dabei, auch um Erdöl und Erdgas. Sind die letzteren überhaupt fossil, können ihre Quellen jemals versiegen? Eine Frage, die aus politischen Gründen heftig attackiert wird. Und dann die Kernenergie. Zwar wird sie von der EU mittlerweile als „grün“ etikettiert, den Grünen mit deutschem Pass aber ist sie seit jeher ein Graus. Also weg mit der Kernenergie!


Viel und wenig Wind
Die Windenergie gehört zu den umweltfreundlichsten, saubersten und sichersten Energieressourcen. Heißt es. Mitte des Jahres 2020 zählte man in Deutschland landseitig 29.546 Windenergieanlagen. Doch dämpfen nicht nur technische und ökonomische Probleme wie auch die Schwankungen (Volatilität) der Energie-Erzeugung den Applaus für die Propellerscharen, auch die Ökologen. Denn die rasenden Windräder werden vielen Tieren zum Verhängnis. Mit bis zu 400 Stundenkilometern schneiden die Rotorblätter an ihren Spitzen die Luft. Immer häufiger werden die Propellerriesen nun auch schützenswerten Wäldern eingepflanzt. Opfer sind vor allem Vögel, Fledermäuse und Fluginsekten. Doch wo und wie findet man sie, die Opfer, und wer zählt sie? Allenthalben gibt es Veröffentlichungen zum Vogelschwund und zum Insektensterben, wobei zunehmend auch die Windkraftanlagen eine Rolle spielen. Doch sind die Angaben statistischer Art je nach Tierart und Artengruppe zumeist sehr unzuverlässig.
Ein neuartiges Argument kontra Windenergie ist der Infraschall. Hierbei handelt es sich um Luftschallwellen im Bereich von 1 bis 20 Hertz. Im natürlichen Umfeld können zum Beispiel der Wind oder die Meeresbrandung Infraschall erzeugen. Bei Windenergieanlagen entsteht er durch den periodischen Wechseldruck beim Drehen der Rotorblätter. Sehr tiefe Frequenzen von bis zu 0,25 Hz können resultieren und das bei einer Wellenlänge von knapp 1,4 Kilometer.
Für den Menschen ist der Infraschall unhörbar, für viele Tierarten gilt das aber nicht. Dennoch ist auch für den Menschen der Infraschall nicht unbedenklich. Vor allem Mikrozirkulationsstörungen sollen die Folge von Infraschall sein:  Blutdrucksteigerungen, und Schwindel werden genannt, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen (
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35900395). Doch stehen schlüssige Belege noch aus.
Anderes gilt für Tiere.  Sie haben oft ganz andere Wahrnehmungsbereiche als wir Menschen, was eben auch für den Infraschallbereich gilt. Und so zeigen sie mitunter ein ausgesprochenes Vergrämungsverhalten. Das heißt, sie verlassen die Region weiträumig. Bei Weidetieren zu beobachten, ist aber auch für freilebende Tiere unterschiedlichster Art zu vermuten.
Erstaunlich, auch noch nach über 30 Jahren Windenergienutzung müssen Betreiber von Windkraftanlagen keinen Nachweis der Verträglichkeit für Mensch und Tier vorlegen. Dazu das Grundgesetz, Artikel 20a:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.


Wo seid Ihr geblieben, Ihr Vögel, Frösche und Fliegen?
Die erste Studie zum bis dahin nur "gefühlten" Insektensterben lieferte das Fachmagazin "PLOS ONE" im Oktober 2017. Hiernach sei die Zahl der Insekten in Deutschland nicht eben nur zurückgegangen, nein, regelrecht eingebrochen sei sie: Dreiviertel aller Fluginsekten wären im Verlauf von nicht einmal dreißig Jahren verschwunden. In nur 27 Jahren hätte die Gesamtmasse der gezählten Insekten um 76 Prozent abgenommen. Jede zweite Insektenart sei am Schwinden.
Naturschutzverbände berichten, dass der Verlust von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien zwischen 1970 und 2016 bei 68 Prozent gelegen habe. Mittlerweile sei er auf 70 Prozent gestiegen. Einer internationalen Untersuchung zufolge wären durch die Menschheit mehr als 1 400 Vogelarten ausgerottet worden. Viele Vögel Europas kämpften vor unser aller Augen um ihr Überleben. Die Staaten der EU hätten in den letzten vier Jahrzehnten überdurchschnittlich viele Vögel verloren. Von 600 Millionen ist die Rede. Über den bisherigen Durchschnitt gerechnet entspricht das Tag für Tag einem Verlust von 40 000 Vögeln.
Wer aber zählt die Insekten, die Spinnen- und Krebstiere, wer die Fische in den Bächen, wer registriert den Verlust von Pflanzenarten im offenen Gelände, in den Wäldern, an Wegerändern, wer die Tier- und Algenarten im Wassertropfen?





Der Hund lacht nicht

Vom Lachen und anderen Phänomenen, die nur uns Menschen eigen sein sollen


Prof. Dr. Gerald Wolf


Weil er nicht lachen kann, der Hund. Oder? Wir jedenfalls, wir können es. Und wie! Nur was schon gibt es heutzutage zu lachen? Falls doch, vergeht es einem, sobald man darüber nachdenkt. Überhaupt das Lachen, was passiert dabei in uns, wie muss einem zumute sein? Und Humor, was ist das? Die Politik von heute, wird behauptet,
se
i nur noch mit Humor zu ertragen. Mit Humor? Mit Galgenhumor vielleicht, meinte kürzlich der Nachbar und lächelte dazu. Kein breites Lächeln war das, eher ein schiefes, ein spitzes. Und sogleich fügte er hinzu: Ein Todeskandidat wird auf den elektrischen Stuhl geschnallt. Einen letzten Wunsch habe er frei, bietet ihm der Gefängnisdirektor an. Darauf der Kandidat: „Ja bitte, wenn Sie meine Hand halten könnten?“ Ein schräger Blick auf den Hund, der mitgekommen war - nein, der konnte darüber nicht lachen. Er kann überhaupt nicht lachen. Natürlich kann er das nicht. Er weiß noch nicht einmal, wie das geht mit dem Lachen. Und selbst wenn er es könnte, dann wüsste er nicht, worüber. Oder? Und wieder dieses „Oder?“, dieses Nichts-Genaues-weiß-man-nicht!

Sokrates war der Erste, dem man nachsagt, er wisse, dass er nichts weiß. Sicherlich war er auf Widerspruch aus, hatte aber auch recht. Irgendwie. Und wir, die wir viel mehr wissen, als man zu Sokrates‘ Zeiten je wissen konnte? Was schon, müssen wir uns fragen, was wissen wir wirklich genau? Noch nicht einmal, warum wir lachen, wenn wir es müssen oder wollen. Humor sei die edelste Form des Lachens, heißt es. Geist wäre da gefragt. Geist, o Gott, was ist denn das? Was wissen wir über den Geist, was über unser Empfinden und über das eines Anderen, über Subjektivität? Klipp und klar können wir sagen, was ein Hammer ist und was eine Säge, aber nicht, was das Behagen in uns ist oder das Missbehagen. Und wie das mit dem Lachen geht und mit dessen Warum. Was gar wissen wir über die Subjektivität eines Tieres? Haben Tiere überhaupt so etwas wie ein Ichempfinden - Hunde, Pferde, Erlenzeisige, Wasserflöhe? Sie können es uns schlichtweg nicht sagen. Anders wir, wir Menschen. Und wie hört sich das an, was wir darüber sagen können? Zum Beispiel darüber, worüber unsereiner lachen muss und andere nicht, nicht können oder nicht wollen. Wie sieht das dann tief drinnen aus? Dort, wo das Subjektive beginnt, in der Tiefe der Seele.

Das zu sagen, fehlen einem jeden von uns die rechten Worte. Das Ausdrucksverhalten verrät da mehr. Entweder ist unser Lachen ein breites, lautes, womöglich ein regelrechtes Gelächter, oder wir lachen nur ein bisschen. Vielleicht auch verkneifen wir es uns, das Lachen, oder wir tun nur so als ob. Und wie ist das mit unserem Hund, wenn er auf dem Rücken liegt, wir ihm den Bauch kitzeln, und er uns dabei sein klaffendes, geiferndes Maul zeigt. Offensichtlich ein Anzeichen von Vergnügen, so wie es uns überkommt, wenn uns jemand freundlich kitzelt. Zwar können wir darüber sprechen, aber wir können es nicht wirklich erklären. Jedenfalls nicht so, dass das Gegenüber unseren inneren Zustand treffend nachempfinden kann. Noch ärger beim Verstehenwollen der Hundeseele. Oder der eines Karpfens oder einer Schmeißfliege. Haben die überhaupt eine Seele? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso?

Rot und Grün, gänzlich unpolitisch
Von Farbenblinden abgesehen, können wir alle Rot von Grün unterscheiden. Und sonstige Farben. Dafür gibt es in der Netzhaut des Auges spezielle Sinneszellen, Farbrezeptoren genannt, und diese in drei Klassen: solche für Rot, für Grün und für Blau. Bei Gelb antworten neben den Rezeptoren für die Farbe Grün auch die für Rot, und das je nach Farbton in jeweils unterschiedlicher Intensität. Allerdings ist die Bestückung der Netzhaut mit solchen Rezeptorzellen von Mensch zu Mensch verschieden. Die einen haben mehr Rezeptoren für Rot, dafür weniger für Blau oder Grün, bei den nächsten mag es anders verteilt sein. Entsprechend sollten sich die Farbempfindungen von Mensch zu Mensch unterscheiden. Genau das aber lässt sich nicht ermitteln. Wie auch sollte man darüber sprechen können? Krasser noch: Objektiv gibt es überhaupt keine Farben – nur Licht unterschiedlicher Wellenlänge, und wir Farbtüchtigen erkennen darin Farben! Für die Empfindung eines gewissen „Gelbgrüns“ benutzen wir ein und dieselben Begriffe, allerdings eben ohne wirklich wissen zu können, wie der Nachbar dieses Gelbgrün sieht.
Ähnlich ist das mit dem Hören von Tönen und Geräuschen, mit Hautempfindungen, Schmerz oder Signalen aus dem Körperinneren. Genauso mit dem Geschmack eines „edlen“ Burgunders - für die einen ein Traum, für andere eine entsetzlich bittere Plörre. Wir kennen von uns das Gefühl für Ekel, für Freude und für Zuneigung, wie aber erlebt ein Anderer solche Zustände? Gar erst wenn es um die Liebe geht und, späterhin, um den Hass. Die Belletristik lebt davon. Wieder eine Oktave runter: Wie empfindet jemand Rachmaninovs Drittes Klavierkonzert, wenn er ansonsten auf Rap steht oder überhaupt nichts von Musik hält? Nur von Fußball. Oder wenn er einen Blick auf den „Schrei“ von Edvard Munch wirft und dann einen ersten, einen zweiten und dritten auf das Matterhorn? Wie, ein weiteres Beispiel, sollten wir uns in einen Wanderer hineinversetzen, wenn er auf eine Kreuzotter stößt oder auf eine Blindschleiche, wie seinen Schreck nachempfinden? Womöglich lacht er, wenn er die Harmlosigkeit des Tieres erkennt. Oder er ist dennoch käseweiß und muss sich erstmal hinsetzen. Natürlich werden wir als Beobachter versuchen nachzuempfinden, als ob wir selbst die Betroffenen wären. Nur, was kommt dabei heraus? Bei einer besorgten Mutter sicherlich etwas anderes als bei der Schwester, dem Bruder oder der Freundin, so sie zur Wandergruppe gehören. Und wieder die Frage, wo sind die Grenzen der Mit-Empfindsamkeit.  Bei einem Hochsensiblen liegen sie ganz anders als bei einem Gefühlsarmen, einem Psychopathen gar.


Ganz tief drinnen
Regelrechte Berühmtheit erlangte der Fall des Norwegers Anders Behring Breivik, der im Jahr 2011 aus einem von ihm selbst bekannten rechtsextremen Motiv heraus an einem einzigen Tag 77 (!) Menschen tötete. Die mit dem Fall befassten Experten waren sich über die Schuldhaftigkeit uneinig, und sind es großenteils wohl bis heute. Ist nun dieser Brevik ein Psychopath, der mangels Gefühlsfähigkeit zu diesem Verbrechen bereit gewesen war, oder ist er weder psychotisch noch (wie von gerichtspsychiatrischer Seite her ebenfalls vermutet) schizophren? Krank oder normal, schuldig oder nicht schuldig?
Gleichviel, wie fern muss man anderen Menschen sein, um eine derartig unmenschliche (unmenschlich?) Scheußlichkeit zu begehen?
Ähnlich spielt auch im „normalen“ Leben eine allzu große Ferne zum Ich der Anderen eine Rolle, obschon viel weniger extrem. Derartige Fälle gehören bei Psychotherapeuten und in den Kinder- und Jugendpsychiatrien zur täglichen Praxis, ebenso bei Familienrichtern, Lehrern und Kindergärtnerinnen. Oft auch tragen die Freunde und die Wohnungsnachbarn mit daran. Die ärgsten der Problemfälle sind durchaus nicht immer Psychopathen zuzurechnen, aber oft. Denn nicht nur finden sich solche Menschen als Straftäter in den Gefängnissen, nein, als manipulativ besonders Begabte mitunter auch auf Chefetagen, in der Werbebranche, da und dort auf den Bühnen der Unterhaltungsindustrie und wohl ebenso in der Politik. Die Erfolgreichsten unter ihnen zeichnen sich durch eine hohe Intelligenz aus, durch Charme, Pathos, laxen Umgang mit Fakten, Geschwätzigkeit und: Sie haben keine sonderlichen Probleme mit dem Schamgefühl und mit Gewissensbissen.
Robert D. Hare, ein kanadischer Kriminalpsychologe, meint dazu, die Rücksichtslosigkeit der Psychopathen sei es, die ihnen im Wettbewerb mit Anderen einen Vorteil verschaffe. Ein Mangel an Empathie also, an Mitgefühl. Andere hingegen behaupten eher das Gegenteil belegen zu können. Nämlich dass psychopathisch „Begabte“ durchaus mit Anderen mitfühlen können und sie gerade dadurch bestens zu manipulieren wissen. Allerdings eben ein Mit-fühlen ohne mit-leiden zu müssen. Untersucht man diese Menschen in einem Gehirn-Scanner, währenddessen ein Film demonstriert, wie jemandem in derb schmerzhafter Weise ein Finger umgebogen wird, passiert in dem Hirnareal, das für Mit-Leiden zuständig ist, auffällig wenig.
Fast ebenso beunruhigend ist, dass die Rigorosität psychopathisch Veranlagter von Anderen gern als Stärke angesehen wird. Viele zollen ihnen hohen Respekt, ja Verehrung. Umso mehr dann, wenn es nicht nur um die Manipulation Einzelner geht, sondern um die eines ganzen Volkes. Worte für Empfindungen wissen sie so einzusetzen, dass solche mit positiver Wertung in solche mit negativer umbewertet werden, Zorn in „Hass“ umgemünzt, Widerrede in Hetze.  Einige im Schwarm der Anonymen „schwärmen“ geradezu für solche Art von Führungspersönlichkeiten – Schwarmdummheit eben.
Und Hunde? Auch unter ihnen gibt es Problemfälle. Zum Beispiel solche, die ihre Herrschaft beißen. Tierische Psychopathen gewissermaßen. Hier sorgt der Mensch ganz einfach für Abhilfe.


Gelaber
Prof. Dr. Gerald Wolf

Gelaber, labern - in Synonymwörterbüchern heißt es dazu:
schwatzen, schnacken, quatschen, babbeln, rumfaseln, palavern, plappern, plauschen, parlieren, schwafeln, rumschwätzen, daherschwätzen, herumtönen, schnattern, herumeiern, schwadronieren, einfältiges Zeug reden, sinnloses Gerede, Laberhans, Labersack, Geseire, Seirich ...

Verschiedene Begriffe zwar, mehr oder weniger aber ein Einerlei, typisch für das Labern eben. Laberer (korrekt: Laberinnen und Laberer) reden und reden, schreiben und schreiben, wiederholen sich ständig, und alles ist arm an Sinn. Nach einer Laber-Attacke fragt man sich, um was es am Ende eigentlich ging. Beim nächsten Mal besser das Weite suchen!

Wird eine solche Haltung der anderen Seite gerecht? Womöglich hat die Laberei doch einen Sinn. Zum Beispiel, um miteinander ein bisschen Spaß zu haben, um Sympathien zu gewinnen oder um Kontakte zu pflegen. Leute, die das Labern weder können noch wollen, bleiben oft isoliert. Bei sozial lebenden Tieren ist das ähnlich. Schon aus Existenzgründen muss da mitgelabert werden. Denken wir an das monotone Gekrähe in einem Krähenschwarm. Es bedeutet all den Mitkrähen: „Ich bin hier, Ihr doch wohl auch, lasst uns mal schön zusammenhalten!“ Und das geht unter Umständen stundenlang so. Ist das Laberei? Ähnlich das Geschrei und Gekreisch an einem Vogelfelsen. Je nach Vogelart ist es ganz unterschiedlich, die Platzordnung wird damit gewahrt. Pinguine erfahren durch das monotone Rufen ihrer Jungen, wo unter den tausenden anderen der eigener Balg steckt. Auch Menschen kommunizieren in Paniksituationen auf eintönige Weise. Da gilt es, möglichst laut und immer aufs Neue zu rufen, allein um zu signalisieren: „Hier bin ich, hier! Komm, kommt schnell!“ - Gelaber? Gewisslich nicht.

Gewiss aber gibt es Gelaber. Es ist sozusagen das Kontrastprogramm zur Übermittlung von Tatsachen, Wissen oder Vermutungen, von Absichten, Behauptungen, Gefühlen und Glauben, von Befürchtungen oder Drohungen. Bis hin zu dem Bedürfis, mit Wissen anzugeben. Selbst wenn es nur vermeintliches Wissen ist, kann das interessant sein oder amüsant, fernab von Gelaber. Gelaber hin, Gelaber her, mitunter ist das eine vom anderen zu unterscheiden recht schwer.

Indes wenn von

Laberantinnen und Laberanten

die Rede ist, gibt es keinen Zweifel. Dann geht es nicht um Fachkräfte in den Labors, sondern allein um eher wenig geschätzte, mitunter sogar gefürchtete Repräsentanten des Gelabers! Jeder kennt das. Da wird ein Vortrag zu einem brisanten Thema angeboten, man geht voller Erwartung hin. Eine Leinwand kündigt interessante Bilder an, und nach einer ohnehin schon viel zu langen Einführung setzt der Vortragende dann tatsächlich auf den Projektor. Aber nicht Bilder zeigt er, sondern Texte. Zeilenweise und seitenweise. Sie sollen unterstreichen, was von ihm ohnehin gesagt wird. Und was der Vortragende sagt, ist entweder längst bekannt oder reichlich uninteressant. Gelaber also, Gelaber auf höherer Ebene.

Auch Bilderstapel können laberig sein. Früher waren es Fotos, die die Freundin Evelin aus der Handtasche zog, stoßweise, heute ist es ihr Handy. Und Bild auf Bild geht es um den Enkel Sebastian, wie er läuft, rennt, springt, kreischt und schläft, wie er sitzt und isst. Nicht Torte aus dem Supermarkt, sondern eine, die man selbst gebacken hat! Nämlich mit Mandelsplittern, zerstoßener Nuss-Schokolade und Apfelsinenresten. Und das alles bei 128 Grad. Sebastians Mutter, die Schwiegertochter Karla-Petra, staunt dann immer, wie so was geht. Selbst kauft sie ja die Torte immer bei Netto. Oder bei Edeka. Bei Karla-Petra ganz in der Nähe, da um die Ecke, Du weißt schon! In der – na, wie heißt gleich die Straße? Dort, wo das Schild hängt, das mit dem - , na, Du weißt schon. Und da sag ich immer …

Auch von Laber-Musik könnte man sprechen. Das ist die, die pausenlos aus den Lautsprechern der Supermärkte rinnt. Musik ohne Sinn, vermutlich durch Künstliche Intelligenz komponiert. Dazu hauchende, stöhnende, grunzende, jauchzende Laute aus jungen Kehlen. Textfrei. Oft genug hat der Autor die Verkäufer (Verkäuferinnen und Verkäufer) gefragt, wie sie denn so was den ganzen Tag über aushalten. Die Antwort ist immer dieselbe: Man höre da gar nicht mehr hin. Dazu ich: “Aber ich (!), ich höre hin, und mir wird schlecht davon- Mir, Ihrem Kunden!“ Und noch eines drauf: „In den Supermärkten Südostasiens wird klassische Musik gespielt. Die animiert derart, dass man das Doppelte von dem einkauft, was man sich hier in den Wagen packt. Bitte, sagen Sie das mal der Geschäftsleitung!“ Die Antwort ist jeweils ein halbgares Grinsen. Klar, es muss gar nicht Klassik sein. Allein wenn man an die Schlager der 50er bis 70er Jahre denkt. Melodien waren das, die zum Mitsingen einluden, Texte mit Sinn und Verstand, voller Humor. Na ja, die Alten eben, von wegen früher war alles besser!

Labernde Politiker, labernde Journalisten
Wie könnte man an Gelaber denken und von Gelaber sprechen, ohne „die da oben“ zu zitieren? Inhaltschwere, knackige Reden und Diskurse kennt man noch von den Altvordern, gleichviel ob von Adenauer, Brandt, Wehner, Strauß oder Schmidt. Ihre Ansichten musste man nicht teilen, immer aber bereiteten deren Reden Genuss. Sie forderten das Volk heraus, längs, schräg oder quer zu ihren Vorgaben zu argumentieren. Und heute? Über Tage und Wochen und Monate hin, mitunter jahrelang ein und dasselbe. Oft sachlich nicht hinreichend begründet. Oder es sind ohnehin Nichtigkeiten. Diskursives Argumentieren wird so weit wie möglich vermieden oder gar verhindert, geschweige denn an den Schulen und Universitäten trainiert. Die Einzigen, die sich von dieser Art Durchschnitt entfernen, die … (hier möge der geneigte Leser, bitte schön, eigene Gedanken einfügen), werden als „extrem“ abgetan und mitunter verfolgt. Und tatsächlich sind sie extrem, nämlich gemessen an dem Gelaber der Anderen.