****       Sapere aude!        ****        
                 
Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
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KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 2. Ausgabe Dezember 2020. S. 12


Die Quer- und die Längsdenker.

Politisch abwägendes Denken war bei uns DDR-Bürgern üblich. Man mischte das, was da über die eigenen Medien von oben herabrieselte, mit dem, was es im West-Fernsehen gab. Im Regelfall dachte man schräg, mitunter auch quer zu der vom „Arbeiter- und Bauern-Staat“ vorgegebenen Linie. Dass es der damaligen Obrigkeit gar nicht um die Arbeiter und die Bauern ging, sondern um den Erhalt ihrer Macht, wussten die Arbeiter und Bauern selbst am besten. Dennoch existierten auch sie, die bornierten Längsdenker, Menschen, die selbst im engeren Kreis die Verlautbarungen des DDR-Staates nachbeteten, in der Familie und unter Freunden und Kollegen. Nach außen hin aber gab sich fast jeder stromlinienförmig, einigermaßen wenigstens. Sich dem Strom entgegenzustellen oder gar quer zu dessen Richtung zu schwimmen, kostete Kraft, und man lief Gefahr, anzuecken und abgetrieben zu werden. Auch Schlimmeres drohte. Den Ausdruck „Mainstream“ gab es noch gar nicht, nicht mal im Westen. Wozu auch? Drüben konnte man ohnehin denken, sagen und schreiben, was man wollte. Oder? Wie befreiend es sich anfühlte, mit dem Mauerfall auf einmal in aller Öffentlichkeit kreuz und quer reden und schreiben zu dürfen!

Sich aus der Selbsterfahrung heraus ein Bild von den damaligen Umständen zu machen, verlangt, heute mindestens 45 Jahre alt zu sein, besser noch älter. Und wer bis zum heutigen Tag im Osten gelebt hat, darf sich eines besonderen Vorzugs rühmen: Er kennt sich aus in der Politik, allzumal in der Zeitgeschichte. Feixend gedenkt er der Zeit, als sich mit dem Systemwechsel die bisherigen Längsdenker im neuen Längsdenken übten, längs zu dem bisherigen Querdenken. Viele von ihnen behaupteten damals, sie hätten schon immer anders gedacht. Wenn vielleicht nicht gerade quer, dann doch oft schräg. Und überhaupt, nun ja ... Andere hielten am bisherigen Längsdenken fest und erfreuen sich, unter neuem Namen nun, eines erfolgreichen Comebacks.

Stiftung Medientest

Auch in der jetzigen Zeit finden sich die meisten Querdenker im Osten. Was ihnen fehlt, ist das Westfernsehen und mit ihm die alternative Sichtweise. Zwar gibt es die Social Media, was aber stimmt von dem, was dort geboten wird, was ist verlässlich? Empfindlich reagieren die heutigen Quer- und Schrägdenker auf Manipulationsversuche durch die staatsnahen Medien, und erst recht auf die Verpönung Andersdenkender, allzumal die der Opposition. Aus tiefverwurzelter Erfahrung heraus wissen sie, dass Demokratien ohne eine starke Opposition gesetzmäßig in die Diktatur abrutschen. Die politisch gereiften Alt-Ossis kriegen Pickel, wenn die Opposition diffamiert oder ausgegrenzt wird. Oder wenn bestimmte Auffassungen immerzu wiederholt werden, ohne sie ausreichend zu begründen. „Der Sozialismus siegt!“, hieß es zur DDR-Zeit. Überall war das zu lesen und zu hören. Solche Losungen noch im Ohr, gemischt mit denen von heute, fragen sich die chronischen Skeptiker, warum gibt es nach dem Vorbild der „Stiftung Warentest“ keine „Stiftung Medientest“? Einfach, um der demokratiegefährdenden Mediokratie ein Ende zu bereiten. – Wie naiv! Der Mensch ist zwar lernfähig, aber in Grenzen.

Ob längs oder quer, was nicht alles wird gedacht, geredet, geschrieben und, vor allem, behauptet! Weit gedämpfter geht es zu, wenn Fakten gefragt sind. Harte Fakten, solche, die jeder Prüfung standhalten. Der Weg zu ihrer Erkenntnis ist oft unbequem, er kostet Mühe und Zeit, meist auch Geld. Nicht selten liegt man damit quer zur Auffassung Anderer. Doch wen kümmert’s außer ein paar Spezialisten, wenn man zum Beispiel den Nachweis für eine bislang unbekannte Spezies innerhalb der Gattung Rubus (Brombeere, Himbeere) erbringen will. In Deutschland sind davon etwa 400 Arten gelistet. Oder wenn es sich um einen bisher noch unbekannten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems handelt oder um die Analyse der Navier-Stokes-Gleichungen. Für die Sauberkeit der Beweisführung sorgen Diskurse unter den Fachleuten, und gut.

Ganz anders ist die Interessenlage, wenn sie die Politik betrifft, zumal die große Politik. Wenn es also um die der Wirtschaft und die der Energie-Erzeugung geht, um die Erderwärmung, um die Corona-Pandemie, um die Einwanderung, um den Zustand der Bundeswehr, der Polizei, um das Bildungsniveau der Jugend und der übrigen Bevölkerung oder – was ist mehr? – um die Zukunft Deutschlands. Da dreht es sich nicht einfach nur um Fakten, viel, viel wichtiger ist in solchen Fällen, die Richtigkeit eines Weges zu belegen, um ein anstehendes Problem zu meistern. Und wenn schon Fakten, dann geht es in der Politik darum, wie man sie interpretiert, erforderlichenfalls uminterpretiert oder vertuscht. Zumal wenn Querdenker die Stabilität mühsam installierter Interpretationsweisen gefährden. Besonders problematisch wird es, wenn sich herausstellt, dass „die da oben“ falsch liegen, und die Querdenker richtig. Diktaturen verordnen dann Längsdenken und lassen – o tempora, o mores! – die Querdenker durch die Sicherheitsorgane des Staates beaufsichtigen. Und die Querdenker werden leiser und leiser, ab und an noch ein Aufschrei.

Stabil ist der Abwärtstrend

Das Denken, gleich ob längs oder quer, ist ohnehin so ein Problem. Denn: Es macht Mühe. Mit bildgebenden Verfahren lässt sich das in den für das Denken zuständigen Hirnregionen demonstrieren. Sobald das Denken anstrengt, wird aus anfänglichem Spaß Ernst, und die Lust lässt nach. Immer ist das so, nicht nur beim Denken. Beim Fußballspielen zum Beispiel, oder dem Klavierspiel. Die meisten gucken oder hören daher lieber zu. Oder sie konsumieren, ohne viel darüber nachzudenken, was Andere produzieren. Besonders fern liegt den meisten das Denken, wenn es um die sogenannten exakten Wissenschaftsdisziplinen (hard science) geht, um die Natur- oder Technikwissenschaften also und die Mathematik. Früher gaben die Deutschen auf vielen solchen Feldern den Ton an. Nunmehr haben hier andere Nationen das Sagen (siehe WORLD REPUTATION RANKING 2020). Und unsere Wissenschaftler? Die stemmen sich, machen aber mit. Unerwünschte Forschungsziele lassen sie beiseite, entsprechenden Diskursen, weil erst recht unerwünscht, weichen sie aus.

Welche Nationen heutzutage den Ton in der Wirtschaft angeben, hat sich längst herumgesprochen. Und welche in der Zukunft, lässt sich den Ergebnissen internationaler Schulleistungsstudien (PISA, TIMMS) entnehmen. Hierzulande stabil ist der Abwärtstrend.

Natürlich kann man alles so belassen, wie es nun mal ist. Immer schön längs gedacht und nicht quer. Für die Entwicklung in der Welt wird auch ohne uns gesorgt, ohne Deutschland. Dann wenigstens kann von deutschem Boden niemals wieder ein Krieg ausgehen. Am ehesten noch gegen uns selbst. 



KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 1. Ausgabe Dezember 2020. S. 10-11


Politogene Nukleinsäuren

Überall diese Nukleinsäuren! Jahrzehntelang von der Öffentlichkeit kaum beachtet, dominieren sie nun die Politik und mit ihr die gesamte Gesellschaft. Weltweit. Von früh bis spät Meldungen zu aktuellen Infektionszahlen für das neue Corona-Virus, dem SARS-CoV-2, dem Erreger der Krankheit Covid-19. Nicht direkt um das Virus geht es dabei, sondern um den Nachweis von Bruchstücken seiner Nukleinsäure. Fast scheint es, als lebe die Politik von diesen Nukleinsäure-Daten. Mit Schutzmaßnahmen gegen das Virus wartet sie auf, die tief in das Leben der Bevölkerung einschneiden.

Klar, ein paar Spinner gibt es, die sich dagegen sträuben. Verharmloser nennt man sie, Querdenker (selbstgewählte Bezeichnung, um sich von den durch den Mainstream geformten Längsdenkern zu unterscheiden), Covidioten (pfiffig, hm?) oder in Anlehnung an Auschwitz auch Corona-Leugner. Ebenso gern Verschwörungstheoretiker. Einfach, weil diese Leute auf irgendwelche Wissenschaftler hören und nicht auf die, auf die die Politiker hören, maßen sie sich an, über das Virus und seine Effekte besser Bescheid zu wissen als die Politiker und deren Medienvertreter. Die aber berufen sich auf sorgfältig ausgewählte Wissenschaftler. Zwar auf einige wenige nur, dafür aber sind es Experten erster Wahl. Nicht Kliniker also, Pulmologen z. B., Kardiologen, sonstige Internisten oder überhaupt Ärzte, die mit ihren an Patienten gewonnenen Erfahrungen die in der Politik üblichen klaren Aussagen eher verwirren. Gleichviel, die regierungsseitig ausgewählten Wissenschaftler wissen alles, was im Zusammenhang mit dem Corona-Virus wissenswert ist. Von den Verschwörungstheoretikern und anderen Besserwissern – hasserfüllt, wie die nun mal sind – werden diese „Hof-Experten“ geschimpft. Wenn auf Spaniens Straßen im Kampf gegen Corona mehr Experten gefordert werden, dafür weniger Politiker, mag das für Spanien gelten, aber nicht für uns. 

Im Zusammenhang mit und ohne

Von bestallter Seite her erfahren wir immer neue Infektionszahlen. Nicht nur solche aus Deutschland, nein, aus aller Welt. Ebenso die Sterbeziffern. Hierzulande sprach man bisher – korrekt, wie wir Deutschen nun mal sind – von „im Zusammenhang mit Corona Verstorbenen“. Weil zu lang, gegenwärtig doch einfacher von Toten, wenn zuvor von Corona die Rede war. Denn, zugegeben, die eigentliche Todesursache lässt sich zumeist nicht zweifelsfrei ausmachen. Schrecklich, diese Zahlen, zumal sie ständig wachsen! Als ob die Schutzmaßnahmen nicht nur nicht nützten, sondern die Ausbreitung noch förderten. Wie auch immer, Angst und Schrecken müssen nun mal sein, damit die breite Bevölkerung diese Ziffern auch ernstnimmt und bereit ist, sich noch wirksamer als bisher zu schützen. Und schützen zu lassen. Die Allermeisten sind der Regierung für ihre Fürsorglichkeit sehr dankbar und daher auch ohne Weiteres zu Opfern bereit. So eben auch hinzunehmen, dass die Wirtschaft in Deutschland und das Bildungsniveau weiter nach unten hin abgleiten, die Brieftaschen dünner werden und das Zusammenleben leidet – Familie, Kultur, Kneipe, Sport, Freunde, Krankenbesuche, Oma-Opa-Kontakte und was sonst auch immer. Kollateralschäden sind das, aber notwendige. Inklusive der, die durch die Schutzmasken in Kauf zu nehmen sind. Nur die Verschwörungstheoretiker und sonstige Ungläubige behaupten, all diese von oben durchdachten Maßnahmen seien in erster Linie politischer Art, viel schädlicher als das Virus selbst. Zumindest unausgereift. Ja, sie würden unsere grundgesetzlich geschützte Freiheit unannehmbar einschränken. Lachhaft, welche Freiheit soll es denn sein, um die sie fechten, wenn sie im Zusammenhang mit Corona einst verstorben sein werden?

Keine Frage, infiziert mit den Corona-Nukleinsäureresten heißt nicht automatisch tot. Noch nicht einmal krank. Die meisten spüren rein gar nichts, andere zeigen grippeähnliche Symptome und die nächsten, wenn auch nur wenige (aber immerhin!), werden schwer krank, einige sterben. Diese Unterschiede in der Antwort auf den Virusbefall weiß im Moment niemand zu erklären. Vorerkrankungen wie auch das Alter sollen eine Rolle spielen, womöglich sogar die Hauptrolle. So manche unter den Skeptikern vermuten eine Verwechslung mit anderen Viruserkrankungen, Grippe zum Beispiel (da sie plötzlich wie ausgestorben zu sein scheint), oder mit Krankenhauskeimen. Andere befürchten einen Zusammenhang mit dem Klimawandel, weil der ja so gut wie überall hereinspielt. Auch soll mit iatrogenen Schäden größeren Umfangs zu rechnen sein, d. h., mit Schäden durch Behandlungsfehler, bis hin zur Todesfolge. Gegebenenfalls also Todesfälle im Zusammenhang mit Corona. Selbst das mag in Anbetracht von jährlich insgesamt knapp einer Million Sterbefälle in Deutschland (oder 19 000 pro Woche) wenig erscheinen. Dennoch, das neue Corona-Virus, das SARS-CoV-2, ist hochgefährlich, obschon das nicht immer deutlich wird. Und auch, wenn von Klinikern oder mittlerweile selbst von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anderes zu hören ist. 

Das Nukleinsäure-Theater

Noch komplizierter wird es, wenn man die eigentlichen Akteure ins Spiel bringt, die Nukleinsäuren. An sie ist zu denken, sobald es um die Infektionszahlen geht. Denn nicht das Virus SARS-CoV-2 weist man nach, das kennt man ohnehin nicht so richtig, nein, die Virus-Nukleinsäure. Und davon jeweils nur kleine oder kleinste Bruchstücke. Generell gilt: Kein Leben ohne Nukleinsäuren, den Ribonukleinsäuren (RNA) und den Desoxyribonukleinsäuren (DNA). Was lebt, verdankt den Vorzug diesen fadenartigen Kettenmolekülen. So auch wir Menschen. In jeder unserer Zellen finden sich 10 000 bis 30 000 verschiedene Moleküle der Messenger-RNA. Eintönig hingegen, dafür massenhaft, die ribosomale RNA. Und weitere RNA-Typen gibt es. In der Bedeutungshierarchie der Nukleinsäuren ganz oben residieren die Moleküle einer RNA-Verwandten, der DNA. Sie formen mittels vier molekularer Buchstaben den Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, das Erbgut. Auf 46 Chromosomen verteilt, schlängeln sich in jedem unserer Zellkerne DNA-Moleküle von etwa zwei Metern Gesamtlänge. Nicht nur menschlicher Herkunft ist die DNA des Zellkerns. Da stecken auch fremde Nukleinsäuren drin, zumeist solche von Viren.

Viren sind überall. In und auf uns wimmelt es nur so, von solchen der unterschiedlichsten Art und Herkunft wie auch von Bruchstücken ihrer Nukleinsäuren. Ebenso von Bakterien und deren Nukleinsäuren bzw. deren Bruchstücke. Völlig unsichtbar sind diese Moleküle, auch mikroskopisch nicht erkennbar, dennoch nachweisen kann man sie. Und das mit einem großartigen Trick: der Polymerase-Ketten(chain)reaktion (PCR). In diesem Fall RT-PCR, weil die Erbsubstanz der Covid-19 verursachenden Viren allein aus RNA besteht, und diese mit einem weiteren Trick, der Reversen Transkriptase (RT), zunächst in DNA umgewandelt werden muss. Die DNA-Stücke lassen sich per PCR Schritt für Schritt verdoppeln, so dass nach zig solcher Verdopplungsschritte so viel Material zusammenkommt, das es mit anderweitigen Methoden erkennbar wird.

Schon wieder trommeln die Verschwörungstheoretiker – die Leugner, die Verharmloser, Covidioten und Querdenker –, diese Tests seien anfällig für falsch-positive Ergebnisse. So zum Beispiel wären sie für die Diagnose Covid-19-Kranker viel zu empfindlich, da diese doch von dem Virus massenhaft befallen sein müssten, und mit der superempfindlichen PCR aber eben auch bedeutungslose Spuren positiv anschlügen. Nicht eine Infektion würde nachgewiesen, nicht also durch das Virus bedingte Erkrankung, sondern nur die Kontamination, die Verunreinigung, mit Nukleinsäureteilchen. Nicht von „Infektionszahlen“ sollte also gesprochen werden, sondern von Kontaminationszahlen – ein Riesenunterschied sei das! Außerdem beanstanden die Ungläubigen ein extremes Missverhältnis von positiv Getesteten auf der einen Seite und ursächlich an Covid-19 Erkrankten auf der anderen. Die Erkrankungsschwere entspräche ohnehin nur der einer Grippe, einer nicht-politogenen Viruserkrankung also. Warum in dem einen Fall Ignorieren, fragen sie, im anderen dieses politische Getöse? Hier wie dort sei ständig mit Mutationen zu rechnen, die zu neuartigen Erregertypen führten und ohnehin immerzu neue Impfstoffe erforderten. Überhaupt wären die Testverfahren allesamt nicht genügend validiert und in erster Linie dafür geeignet – typisch Verschwörungstheoretiker! –, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu halten. Und damit gefügig zu machen für das weltumspannende Rekordgeschäft mit dem irgendwann zu erwartenden Allround-Impfstoff, den gegen Covid-19, -20, -21, -X. Nicht die Pandemie sei das Problem, sondern die Panhysterie, wie sie die Politiker und die weltweit agierenden Finanzhaie beabsichtigten.

 

Was ist denn nun richtig, was falsch?

Welche Maßnahmen sind angemessen, welche übertrieben, welche schädlich, welche einfach nur politogen? Darüber zu befinden, ist in einer Diktatur einfach. Das Ergebnis kann richtig sein, falsch oder eben nicht gut genug. Weit schwieriger ist die Entscheidung in einer Demokratie. Als edelste aller Staatsformen kommt sie ohne Angst und Schrecken aus, bedarf aber einer kräftigen Opposition. Andernfalls degeneriert sie über kurz oder lang zur Diktatur. In einer Demokratie müssen alle Stimmen gehört werden, in der Virus-Nukleinsäure-Arena also nicht nur die der Längsdenker, sondern auch und vor allem die der Covidioten, Coronaleugner, Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Immerhin könnte es sich ja – zumindest rein theoretisch – um eine Verschwörung gegen den menschlichen Un-Verstand handeln. Allerdings dauert das Herausfiltern des Guten und Empfehlenswerten aus dem Gewusel all der Pros und Cons oft sehr lange. Zu lange, wenn rasch gehandelt werden muss. In solchen Fällen mag sich die Diktatur als Vorteil erweisen. Und wennschon Demokratie, dann vielleicht besser eine mit einer starken, klugen und überaus verantwortungsbewussten Figur an der Spitze. Viele Längsdenker hierzulande glauben, die haben wir. Schon längst. Seit 15 Jahren. Das sei all den Covidioten, Coronaleugnern, Verschwörungstheoretikern wie überhaupt allen Querdenkern ins Stammbuch gedruckt.


KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 2. Ausgabe November 2020. S. 9


Meine Partei

Bislang hat es noch keine Partei geschafft, mich zu binden, in der DDR-Zeit nicht und auch nicht danach. Denken und sagen will ich, was ich will, und nicht was andere wollen. Wäre heute noch etwas von Kant oder Goethe zu hören oder zu lesen, von Sokrates, Hume, Popper oder Wittgenstein, wenn sich diese in ihrem Denken und Schreiben als Mitglied einer Partei verpflichtet hätten? Wennschon Partei, dann käme für mich derzeit nur eine einzige in Frage: meine eigene. Nicht um links oder rechts ginge es da, auch nicht um die Mitte, nein, ganz gleich welcher Neigungswinkel, von allen und allem und jedem würde Meine Partei (MP) das Klügste und Beste aussieben. Vorrangig von Parteilosen.

Sollte ich mich irgendwann einmal dennoch nach einer anderen Partei umschauen wollen, käme nur eine solche in Betracht, die in der Lage ist, sich in ihren Auffassungen und Ansichten bereitwillig mit dem Wind zu drehen. Bei neuartigen Sachverhalten oder Erkenntnissen zum Beispiel oder solchen, die bislang nicht gehörig berücksichtigt wurden, es aber wert sind. Konventionelle Parteien dürfen neuen, sinnvolleren, möglicherweise konträren Sichtweisen nicht sogleich folgen, das würde ihre Wähler verwirren. Und die Wählerstimmen sind für sie weit wichtiger als irgendwelche Inhalte und Gesinnungen. Über kurz oder lang finden sich Parteien, gleich welcher Couleur, dann doch zu Gesinnungsänderung bereit, falls sie sich davon Wählerstimmen versprechen, andernfalls welche verlören. Sonst droht ihnen der Untergang. Bei meiner eigenen Partei wäre das anders. Sofern ich ihr einziges Mitglied bliebe, geht diese Partei nur dann unter, wenn ich selbst untergehe. Und das wäre schade. Nicht nur um mich, sondern auch um Meine Partei. Denn sie verdiente es, ideal genannt zu werden: eine Partei der radikalen Redlichkeit, wurzeltief und kompromisslos offen.

Einem unwiderstehlichen Erweckungsdrang folgend, frage ich mich, was tun, damit diese Idee auch von Anderen wahrgenommen wird? Zunächst, ganz klar, sollte man im eigenen Kreis anfangen, um diesen dann größer werden zu lassen, und noch größer und immer größer. Irgendwie. Aber wie? Gleichviel, wenn endlich die Schwelle zur breiten Öffentlichkeit hin überwunden sein sollte, würde jeder nur noch diese Partei wählen wollen. Denn sie betreibt Eupolitik (griech. eu –  gutwohlschönecht). Bei dem Namen Meine Partei (MP) sollte es auch dann noch bleiben, um jedem Mitglied die Möglichkeit zu geben, sich auf seine eigene Weise mit der Partei zu identifizieren. Bald würden die anderen Parteien nicht länger im Abseits stehen wollen und würden durch Wandlung Ähnliches versuchen. Doch, o Schicksal, fehlt es ihnen an Glaubwürdigkeit. In der Endkonsequenz gäbe es nur noch eine einzige, eine riesige politische Gruppierung: das Wahlvolk. Und jedes seiner Glieder wüsste sich von der Politik ernstgenommen. Endlich!

Prüfstein Diskurs

Das Hauptinstrument der neuen Politik muss der öffentliche und freie Diskurs sein. Vom bisherigen politischen Mainstream wurde er ängstlich gemieden. Künftig aber sind alle Versuche zur Diskursbeschränkung gemäß Artikel 5 unseres Grundgesetzes zu verbieten. Bei Fragen, die, obwohl politisch relevant, vorrangig wissenschaftlicher Art sind, müssen vor allem Wissenschaftler zu Wort kommen: ausgewiesene Fachleute, und keine der wie bisher von der politisch-medialen Klasse ausgewählten „Experten“. Auch Politiker müssen gehört werden, selbstverständlich und bitte schön, jedoch ohne jeglichen Anspruch auf Debattenhoheit.

Beispiele für diskursiv zu behandelnde Themen, die sich zugleich als demokratische Lockerungsübung empfehlen:

·      CoVid 19: Besonderheiten und Gefahren im Vergleich zu anderen Viren. Sinn und Unsinn von Schutzmaßnahmen.

·      Wetter und Klima, ihr Wandel und dessen Faktoren. Rolle des Menschen.

·      Erneuerbare Energiequellen („Energien“), allgemeine E-Mobilität, Energieversorgung bei Verzicht auf Kohle- und Kernkraft.

·      Passen intensivierte Land- und Forstwirtschaft mit Landschafts- und Naturschutz zusammen?

·      Immigrationsprobleme. Stehen die dafür zuständigen Politiker persönlich dazu (Wohnsitz, Art der Schulen für ihre Kinder und Enkel)?

·      Journalismus als vierte Gewalt im Staat. Vereinnahmung durch den Staat?

·      Genderismus und „Neusprech“.

·      Politischer Extremismus, Grenzen der Zumutbarkeit.

·      Kungeleien in den bisherigen Partei- und Staatsapparaten.

·      Ist die Forderung „Political Correctness“ politisch korrekt?

·      Kann eine Demokratie ohne eine starke Opposition Bestand haben?

·      Deutschland, ein Volk von Duckmäusern? Wie werden daraus verantwortungsbewusste Mitgestalter?

Schon den ersten dieser Lockerungsübungen wäre der Applaus der Bürger gewiss. In dem Maße, in dem der öffentliche und freie Diskurs funktioniert, wird er die Bedeutung der bisherigen Parteien schmälern. Allemal von solchen, die aus Sorge um die eigene Existenz und die Wohlfahrt ihrer Mitglieder zu Unredlichkeiten tendieren, indem sie Sachverhalte wahltaktischem Kalkül folgend über- oder untertreiben, erfinden oder ganz unter den Tisch fallen lassen. Die Politik des Staates würde nicht länger von Parteien bestimmt, die von abgegriffenen Floskeln leben und weniger argumentieren als glorifizieren und diffamieren, nein, davon, was sich beim Wettstreit der Debattanten im Urteil des Publikums als zweckmäßig erweist. Nicht länger hätte staatlicher Dirigismus für die Umsetzung zu sorgen, sondern das über Jahrhunderte hin gereifte Schweizer Modell der direkten Demokratie. Vorzugsweise per Volksabstimmung. Alsbald würde die Politik unseres Staates genesen, und mit ihr der Staat selbst.

Eine Illusion nur, natürlich, und dazu eine ausgesprochen naive. Schade! Auch um Meine Partei. 


KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 1. Ausgabe Oktober 2020. S. 40-41


Aging und Anti-Aging

Alt wollen alle gern werden, aber nicht alt aussehen. Ein todsicheres Mittel gegen das Altaussehen ist – o Gott, welch Zynismus! –, jung zu sterben. „Nein!“, ruft es aus den bunten Journalen heraus, aus Bücherregalen und dem Internet, dem Aging könne doch durch Anti-Aging abgeholfen werden: gesunde Ernährung, Gewicht reduzieren, Sport treiben, überhaupt sich viel bewegen, Krankheiten vermeiden beziehungsweise kurieren, lesen, dosiert Fernsehen, gute Laune üben und Geselligkeit, zeitig zu Bett und zeitig wieder raus. Außerdem gäbe es eine Riesenpalette entsprechender Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika, nicht zu vergessen das wunderbare Bakteriengift Botox und, erforderlichenfalls, das Messer. Tatsächlich, der Anti-Aging-Markt boomt, die Anzahl der Schönheitsoperationen steigt. Sogar in Corona-Zeiten.

Doch ist am Ende alles vergeblich, ob mit oder ohne Anti-Aging macht uns Gevatter Tod die Aufwartung. In der Bibel, Erstes Buch Mose, finden wir den Grund. Adam und Eva hatten vom Baum der Erkenntnis genascht und wurden deshalb aus dem Paradies vertrieben. Fortan hieß es für sie altern und sterben. Das galt gleich mit für die Pflanzen-, Pilz- und Tierwelt – Mithaftung gewissermaßen. Eine Ausnahme wurde für die einzelligen Wesen erdacht: Wenn sich deren Dasein dem Ende naht, teilen sich die Zellen, und Tochterzellen gehen hervor. Zwar wird dabei das Mutter-Individuum ausgelöscht, aber es ist ein Tod ohne Leiche. Immerhin. Jeder stelle sich das einmal für uns Vielzeller vor: Man schnürt sich in der Hüfte bis Hälften entstehen, und schließlich gehen aus unsereinem zwei Töchter hervor! Oder, bitte schön, zwei Söhne.

 

Der Tod, welch Glück, und trotzdem!

 

Wozu aber überhaupt der Umstand mit Zeugung und Sterben, und das in einem fort? Ein Grundprinzip der Evolution ist das, denn der Tod steht dem Leben fördernd zur Seite. Computermodelle bestätigen das. Man ließ vermehrungsfähige rote und blaue Pünktchen über eine Reihe von Vervielfachungsschritten gegeneinander antreten, die einen sterblich, die anderen unsterblich. Bald zeigte sich, dass die sterblichen Pünktchen im Vorteil sind, vorausgesetzt, bei der Neubildung können sie wie echte Lebewesen ihre Eigenschaften verändern. Per Zufall, durch Mutation. Die wenigen, die zufallsbedingt leicht verbesserte Eigenschaften hatten und diese dann – weil immer wieder Platz durch das Absterben der Vorgänger geschaffen wird – über ihr „Erbgut“ an die jeweilig nächste Generation weitergeben konnten, die sind am Ende die Gewinner. Selbstoptimierung ist das. Nach demselben Prinzip haben sich im Laufe der Erdgeschichte Ketten von Generationen mit Verzweigungen ergeben, hin zu immer besseren Lebensformen, Stammbäume entstanden. Ohne ein solches Selbstoptimierungsprinzip gäbe es keine Evolution, ja noch nicht einmal Leben. Die Sterblichkeit des Individuums, wie gut für die lebendige Welt, wie grausam für uns Einzelwesen!

 

 

Allerdings lässt sich die Lebensspanne mit ein bisschen Glück und viel Mühe und so manchen Entbehrungen ausdehnen. Nicht allzu toll, aber immerhin. Und am Ende sieht man sogar noch besser aus als die vielen, die vor uns gestorben sind. Wie man das anstellt, weiß heute jeder. Nur fragt sich, ob man bereit ist, all diese Mühen und Entbehrungen auf sich zu nehmen. Auch, was bei den Hunderten und Aberhunderten Empfehlungen Humbug ist, und was nicht. Gern geglaubt zum Beispiel wird, dass Rotwein ein Mittel gegen das Altern ist. Denn die Franzosen trinken regelmäßig davon, und sie werden älter als die Menschen in anderen Ländern, wo es spartanisch zugeht. Erklärt wird das damit, dass Rotwein größere Mengen an einem Polyphenol namens Resveratrol enthält, und dass dieses Resveratrol dank vielfältiger Interaktionsmöglichkeiten so manche schädigende Molekülsorten neutralisiert. Laborbefunde, an denen unter anderem der Autor mit seinen Mitarbeitern beteiligt war, bestätigen das. Auch warten manche Untersucher mit entsprechenden Beobachtungen am alternden und kranken Menschen auf. Doch stuft die europäische Behörde für Lebensmittel­sicherheit (EFSA, 2019) den Benefit einer Resveratrolverabreichung als zumeist nicht hinreichend belegt ein.

Der Wille hin zur echten Pille

Weit bessere Chancen für eine Anerkennung als Anti-Aging-Mittel hat der Arzneistoff Metformin. Er wird seit langem gegen die Zuckerkrankheit eingesetzt, den Diabetes mellitus vom Typ II (Altersdiabetes). Eher zufällig erkannte man seinen Anti-Aging-Effekt. Seit Jahren nun wird versucht, mit Metformin an der Lebensuhr zu drehen, und das in großzügig und weltweit angelegten Studien. Seit 2016 zum Beispiel die TAME-Studie (Targeting Aging with Metformin) an rund 3000 Probanden im Alter zwischen 65 und 80 Jahren. Zuvor kam in einer britischen Studie heraus, dass Diabetiker, die Metformin schlucken, nicht nur länger als andere Diabetiker leben, sondern auch länger als gesunde Menschen! Wie das?

Eine der vielen möglichen Antworten ist, dass Metformin einen bestimmten Proteinkomplex in der Zelle hemmt, das mTOR (mechanistic Target oRapamycin). Über verschiedene Signalwege forciert mTOR das Zell-Wachstum beim Aufbau in der Kindheit und Jugendzeit. Später aber sorgt es für ein gewissermaßen pervertiertes Wachstum, das die – biologisch notwendige – Zellalterung bewirkt. Wird es durch Metformin gehemmt, verlangsamt sich der Alternsprozess. So jedenfalls lautet die bislang plausibelste Erklärung. Schon viel länger belegt ist der Anti-Aging-Effekt von Metformin durch Versuche an kultivierten Zellen, an Fadenwürmern, Fruchtfliegen und Mäusen. Und an Rhesusaffen. Doch wie auch immer, gestorben wurde trotzdem.

Metformin greift auf verschiedenen Wegen hemmend in die mTOR-vermittelten Stoffwechselprozesse ein, und das direkt oder über Umwege. Zum Beispiel über ein spezielles Signalprotein in der Zellmembran, das Adiponectin. Dessen Wirkung wird durch ein zusätzliches Protein vermittelt, die AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK).

Was sagt denn nun der Schöpfer zu unseren Strampeleien gegen seinen Beschluss, uns das ewige Leben zu verwehren? Man soll sich ja kein Bild von ihm machen. Wenn aber doch, ich jedenfalls würde ihm gern ins Antlitz schauen.

Abbildung: Signalwege der Zelle im Zusammenhang mit Metformin, vereinfacht. Dennoch zu kompliziert? Daran gemessen, was nicht alles gegen das Altern und für die Gesundheit unternommen wird, sollte das Hineindenken in einen derart wichtigen Zusammenhang durchaus zumutbar sein. Vor allem unseren Schülern und Studenten, in deren Hirnwindungen sich Corona-bedingt Staub angesammelt hat. Den gilt es, durch geistige Anstrengung auszufegen. Die meisten der in der Abbildung verwendeten Begriffe und Kürzel lassen sich über das Internet entschlüsseln.

Weitere Helfer gegen Alternserscheinungen sind die Sirtuine (in der Abb. SIRT I). Sirtuine werden von Pflanzen für den Selbstschutz produziert und sind reichlich im Gemüse vertreten. 


KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 2. Ausgabe September 2020. S. 4-5



Wissenschaft und Irrtum

Gibt es „die“ Wissenschaft überhaupt? Für die Ikone der Klimaschutzbewegung, die Schülerin Greta Thunberg, steht das außer Zweifel. So auch ruft sie die Menschheit auf, „der“ Wissenschaft zu folgen. Und mehrheitlich folgt die Menschheit. Der Kabarettist Dieter Nuhr indes hat mit „der“ Wissenschaft eher schlechte Erfahrung gemacht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, Jahresbudget: 3,3 Milliarden Euro Steuergelder) hatte ihn anlässlich ihres 100. Geburtstags um ein Statement gebeten, einem aus seiner Sicht und mit seinen eigenen Worten, und war mit dessen Formulierung d’accord. Nuhr meinte, was für jeden Wissenschaftler selbstverständlich ist, nämlich dass sich die Wissenschaft durchaus irren könne und dies, bitte schön, auch dürfen müsse. Als daraufhin seitens Wissenschaftsferner ein Shitstorm einsetzte, zog die DFG zurück, um sich nach den Protesten echter Wissenschaftler und ernstzunehmender Journalisten abermals zu drehen. – Ja, was ist denn nun richtig, was falsch?

Fakt ist, dass es Fakten gibt, und sich die Wissenschaftler bemühen, diese zu erkennen und daraus Hypothesen und Theorien zu machen. Was dabei herauskommt, mag richtig sein, kann aber auch falsch sein. Ganz anders als bei den Religionen und sonstigen Ideologien also, Irrtum schließen sie grundsätzlich aus. Und auch anders in der Politik. Hier bestimmen die jeweiligen Ziele, was wahr ist und was falsch. Zuneigung finden hier solche Wissenschaftler, die bereit sind, sich diesem Prinzip unterzuordnen, erforderlichenfalls bei Ignorierung hehrer wissenschaftseigener Prinzipien. Denn unter echten Wissenschaftlern muss alles, was Anerkennung finden soll, einer objektiven Überprüfung standhalten. Das heißt, zur bislang erkannten Wirklichkeit widerspruchsfrei sein. Dazu ein berühmt gewordenes Beispiel: 

Weiße Schwäne, und schwarze

Der Standpunkt der Wissenschaft sei, alle (erwachsenen) Schwäne sind weiß. Zugestanden aber wird, dass der Nachweis eines einzigen schwarzen Schwans diese These kippt. Und tatsächlich, es gibt ihn, den schwarzen Schwan. Nicht nur einen, sondern in Massen gibt es sie, nämlich den Trauerschwan in Australien und den Schwarzhalsschwan in Südamerika. Mit der Entdeckung dieser Regionen war „alle Schwäne sind weiß“ plötzlich falsch geworden. Eine eher zufällige Entdeckung ist es gewesen, die diese These widerlegte. In der realen Wissenschaft wird aber auch verbissen daran gearbeitet, Thesen zu widerlegen. Man spricht vom „Falsifikationismus“ – zweifelsohne eine wichtige Triebkraft in der Entwicklung der Wissenschaft hin zu einer höheren, einer allgemeingültigen Wahrheit, bei weitem aber nicht die einzige. Vorsicht also, wenn jemand sagt, „die Wissenschaft sagt“! Gleich ob nun mit diesen Worten oder ob der oder die Betreffende nur so tut, als gäbe es zu einer bestimmten Auffassung keine Alternative.

Zwar findet man in Lexika, bei Philosophen und bei Festtagsrednern durchaus Bezüge auf „die“ Wissenschaft, weit eher aber entspricht das, was Wissenschaft eigentlich ist, einem Sammelbecken mit bald mehr, bald weniger stabilen Ansichten über die Wirklichkeit. So richtig aufregend geht es an dessen Oberfläche zu. Kaum jemals ist sie glatt. Mitunter kräuselt sie sich nur, oft aber toben hier wahre Stürme. Wenn sich da Menschen „klärend“ einzumischen versuchen, die gar keine Wissenschaftler sind, machen sie sich lächerlich. Doch wehe, wenn es Menschen mit politischer oder mit finanzieller Macht sind! Entweder leidet dann die Wissenschaft, oder es sind die den Mächtigen ausgelieferten Menschen.

Eher selten haben die Verfechter sowohl der einen als auch der gegenteiligen Auffassung recht. Typischer Fall der Welle-Teilchen-Dualismus. Der Streit, ob das Licht kontinuierlich im Raum verteilt ist und Wellennatur hat, oder ob es aus Teilchen besteht, Photonen, löste sich am Ende in ein Sowohl-als-auch auf. Mittlerweile unbestreitbar, aber verstehen im Sinne einer erfühlbaren Wahrheit kann das niemand. Wie überhaupt die gesamte Quantenphysik. Obwohl es von ihr heißt, sie böte die verlässlichsten Aussagen, zu denen die Wissenschaft überhaupt fähig ist. Besser vorstellbar, oft aber weit weniger handfest, sind da die Ergebnisse auf dem naturwissenschaftlich-medizinischen Gebiet. Pro Jahr erscheinen dazu in begutachteten (also höherwertigen) Fachzeitschriften über eine Million Originalarbeiten!

Ich selbst, der Autor, habe zusammen mit vielen Mitarbeitern über Jahrzehnte hin auf dem Gebiet der Hirnforschung gearbeitet. Wie die meisten anderen Kollegen waren auch wir lange Zeit der Überzeugung, wenn es auf unseren Gebieten so stürmisch weitergeht, sind sehr bald auch die großen und die ganz großen Fragen zu beantworten, wie das Gedächtnis funktioniert, wie das Denken und Fühlen, ja, was Geist ist und was ihn am Ende eines Lebens zerrüttet. Ebenso selbstverständlich schienen Fortschritte bei der Behandlung von Erkrankungen des Nervensystems. Die Wirklichkeit indes ist eine andere, trotz beachtlicher Fortschritte in der Grundlagenforschung. Über die Alzheimersche Krankheit z. B. wird seit Jahrzehnten gearbeitet, zumeist mit Blick auf das Beta-Amyloid – ein Eiweißspaltprodukt, das sich im Hirngewebe der Patienten in Form von Klümpchen (Plaques) anreichert. Weltweit wurden und werden dazu viele Milliarden Dollar investiert, zumal ein wirksames Medikament Billionen-Dollar-Gewinne verspricht. Nicht nur, dass es trotz vielfältiger Ansätze bis heute kein solches Heilmittel gibt, man kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob das Amyloid für die Alzheimer-Demenz eine ursächliche Bedeutung hat oder nur deren Folge ist. 

Wissenschaftsmarkt

Wie die Suppe das Salz brauchen wissenschaftliche Disziplinen und ihre Teilgebiete Tagungen und Kongresse, um sich gegenseitig die neuesten Ergebnisse vorzustellen und sich darüber auszutauschen. So auch kommen in den USA Jahr für Jahr Zehntausende von Neurowissenschaftlern aus aller Welt zusammen. Auf derart riesigen Meetings werden – parallel – zehn oder auch zwanzig Vorträge angeboten und tagtäglich tausende Poster. Ausgesprochen kluge Leute finden sich hier, und verbissen kämpft ein jeder um sein Stückchen Wahrheit. Fast immer handelt es sich um Details von Details von Details. Diese Wissenschaftler wären völlig überfordert, sollten sie stattdessen versuchen, die ganz großen Fragen zu beantworten. Und tatsächlich, kaum jemals dreht es sich um das Gehirn in seiner Gänze, fast immer nur um dessen Zellen und zellulären Elemente oder um deren hochmannigfaltige molekulare Strukturen und Funktionen.

 

Wie es auf einem solchen Wissenschaftsmarkt zugeht, habe ich in dem Roman „Der HirnGott“ anklingen lassen. Dazu eine Szene, wie ich sie seinerzeit selbst beobachten konnte:

 

… Unter die Postergucker mischte sich ein Älterer: Halbbrille, Glatze, grauer Bart. Dem Gebaren nach ein Wissenschafts-Guru. Kurz nahm der Typ Maß, um dann den jungen Koreaner mit Anwürfen nach dem Muster zu belegen: Wieso meinen Sie denn ...? Aber es ist doch sattsam bekannt, dass …! Der Jüngere schien seiner Sache gewiss, blickte dem Älteren tapfer ins Gesicht und verteidigte sich in einem Englisch, das zu genauestem Hinhören zwang. Der Angreifer winkte nach ein paar zusätzlichen Einwänden ab und flanierte weiter durch die Reihen, bis er stirnrunzelnd vor einem anderen Poster verharrte. Dasselbe Szenario. Als ein Hüter der Wissenschaft wollte er imponieren, einer, der allerdings nur das zur Kenntnis nahm, was er sowieso schon wusste und auch nur deshalb zu wissen für werthielt. Leute waren das, die es verstanden, kunstvoll am Winde zu segeln, den sie selbst machten. Ein paar Jahre hin, und diesen Laffen wird niemand mehr kennen. Seine altväterlichen Weisheiten nimmt er dann wie alle vor ihm mit ins Grab.

 

 

 

Errare humanum est

lautet ein berühmt gewordener Spruch des römischen Philosophen und Politikers Seneca –  irren ist menschlich. Nicht nur Menschen, auch Tiere können sich irren. „Irrgäste“ werden Vögel genannt, die sich auf den Zug ins Überwinterungsgebiet verflogen haben. Heuschreckenschwärme verfliegen sich mitunter ebenfalls, hinaus aufs Meer, wo sie elendiglich umkommen. Oder denken wir an die Geschichte vom Russelschen Huhn: Ein Hühnchen wird von einem Bauern großgezogen, erhält von ihm Schutz und regelmäßig Nahrung. Er ist mein Wohltäter, sollte das Huhn denken. Doch kurz vor Weihnachten kommt der Bauer nicht mit Futter, sondern dreht dem Huhn den Hals um. – Die Geschichte stammt von dem britischen Philosophen und Mathematiker Bertrand Russel. „Was will uns der Wissenschaftler damit sagen?“, könnte das Thema eines Schulaufsatzes sein.

Solange Wissenschaftler unter sich sind und streiten, mag das für die Öffentlichkeit kaum von Bedeutung sein. Anders, wenn es um Themen geht, die von politischer Relevanz sind, oder solche, die politisch zweckdienlich gemacht werden sollen. Aktuell der Klimawandel oder das COVID-19-Virus. Demokratien haben mit solchen Versuchen kaum Probleme, vorausgesetzt, der freie, öffentliche Diskurs funktioniert. Was aber bei einer eingeschränkten Demokratie, was, wenn der Diskurs in eine den Mächtigen gefällige Richtung gedrängt und irgendwann gar gänzlich unterdrückt wird? Dann melden sich die „öffentlich-rechtlichen“ Medien mit Nachrichten aus „der“ Wissenschaft zu Wort und bäumen sich mit Halbgarem und Halbverstandenem auf. Oder sie haben verstanden und biegen hin, was hinzubiegen ist und hinzubiegen geht. Die einen begrüßen, wenn sich die Bundeskanzlerin mit Greta Thunberg trifft, nicht aber mit Dieter Nuhr. Die anderen verziehen das Gesicht. 

Von der Dummheit

Schreckliche Beispiele von Demokratieversagen finden sich in der Nazizeit. Neben den Allerschlimmsten, den Machern, gab es eine weit größere Anzahl von Mit-Machern, darunter viele Wissenschaftler. Ohne Mitmacher können die Macher nichts machen. Und die Mitmacher sind es, die Dietrich Bonhoeffer in seinem Essay „Von der Dummheit“ aufs Korn nimmt. Bonhoeffer (Theologe, Widerständler, im April 1945 noch kurz vor der Kapitulation auf persönlichen Befehl Hitlers hingerichtet) meinte mit den „Dummen“ nicht etwa Menschen mit stark eingegrenztem Intellekt. Nichts lag ihm ferner. Nein, Bonhoeffer ging es um solche, die durchaus klug sein mögen und auf ihrem jeweiligen Gebiet anerkannte Fachleute, die jedoch von großer politischer Naivität sind und sich daher leicht und in vermeintlich guter, ja bester Absicht vor jedweden Karren spannen lassen. Vor welchen, das muss ihnen nur eindringlich und oft genug gesagt werden:

„Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden … Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen … Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen.“

Dieselben „Dummen“, die Bonhoeffer meinte, die gibt es überall und zu jeder Zeit. Auch sind diese sehr empfänglich für all das, was „die“ Wissenschaft ihnen sagt.


KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 1. Ausgabe August 2020. S. 4-5


Minderheiten, zum Beispiel ich



Ich wurde als Minderheit geboren, und, mal ganz offen und ehrlich, diese Minderheit ist mir persönlich sehr wichtig. Selbstverständlich vor mir noch rangieren meine Angehörigen, aber dann komme ich. Zwar bin ich eine Ein-Personen-Minderheit wie jedermann und jedefrau und auch bedroht wie alle anderen Ein-Personen-Minderheiten, aber leider mehr als diese. Wegen des fortgeschrittenen Alters. Denn demnächst, so die allgemeine Erfahrung, werden mir durch Tod alle die Rechte entzogen, die mir bis dato zustanden. Fürderhin nicht mehr existierend, geht es mir dann wie den unzähligen potenziellen Existenzen, die noch nicht einmal den Vorzug hatten, gezeugt und geboren worden zu sein. Ein einziges Menschenpaar könnte allein durch die Chromosomen-Lotterie bei der Keimzellreifung 2 exp. 23 = 8,38 Millionen genetisch verschiedene Kinder zeugen. Unendlich mehr noch, wenn man den Chromosomenbruchstück-Austausch hinzurechnet. Meist aber heimst nur ein einziges Kind das Existenzrecht ein, oder gerade mal zwei tun es, oft aber kommt es zu gar keinem Kind. Von Paar zu Paar sind demnach Millionen über Millionen von potenziellen, aber nicht existierenden Individuen zu beklagen, die sich mangels Stimme als Nichtexistenzen weder auf den Status einer schützenswerten Minderheit berufen können, noch dass sie im Grundgesetz überhaupt Beachtung fänden!

Apropos Grundgesetz, sogar um dessen Existenz muss man sich Gedanken machen, wiewohl „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html) hat. Was tun, wenn die derzeitige Obrigkeit, eine Minderheit also, das Volk, die absolute Mehrheit, durch diverse Änderungen und Einschränkungen des Grundgesetzes bevormundet? Und wirklich, nicht immer sind es Mehrheiten, die Minderheiten bevormunden. Entsprechende Machtmittel vorausgesetzt, können sich die Verhältnisse durchaus umkehren. Wie sonst hätte eine Handvoll europäischer Staaten die halbe Welt zu Kolonien machen können, wie anders sollte ein jeweils einzelner Mensch sich als Diktator über Millionen von Artgenossen erheben und wie einige wenige Parteistrategen ein ganzes Volk zum Ausstieg aus der Kernenergie bewegen?

Von Mäusefurcht bis Koprophilie

Gegenwärtig gibt es auf der Erde fast acht Milliarden Menschen. Jeder Einzelne sollte sich darüber als potenziell schutzwürdige Minderheit seine eigenen Gedanken machen. Andere Minderheiten umfassen einige wenige Menschen – Familien zum Beispiel, Skatrunden oder die Fans des FSV Limbach-Oberfrohna. Manche Minderheiten aber bestehen aus vielen Menschen, oder sogar aus sehr vielen. Zum Beispiel die Minder- und die Hochbegabten oder die sehr Armen und die sehr Reichen. Oder denken wir an Minderheiten, die noch nie in Parteiprogrammen Aufnahme gefunden haben, u. a. Menschen mit überängstlichem Meideverhalten, mit Angststörungen also, wie Arachnophobie (Spinnenfurcht), Murinophobie (Angst vor Mäusen), Agoraphobie (Platzangst), Soziophobie (Angst vor anderen Menschen). Oder an Menschen mit somatoformen Störungen. Sie leiden unter schwerem körperlichem Unbehagen, ohne dass sich dafür jemals eine organische Ursache finden lässt. Als Spinner werden sie abgetan, als Hypochonder.

Geradezu riesig ist die Anzahl von Menschen, die von Depressionen geplagt werden. Die WHO schätzt sie auf weltweit 300 Millionen. 47,5 Millionen seien von Demenz betroffen und 21 Millionen von Schizophrenie. So viele es auch sind oder sein mögen, dennoch handelt es sich um Minderheiten. Sie alle verdienen unser Mitgefühl, unseren Schutz. Und seitens der Politiker weit mehr Aufmerksamkeit. Was aber ist mit den Sadisten, die sich durch Quälen von Menschen sexuell befriedigen, was mit Pädophilen, die getrieben sind, sich sexuell an Kindern zu vergreifen? Sie haben sich ihre Absonderlichkeit nicht ausgesucht! Auch nicht der Nekrophile, der es mit Leichen tut, und der Zoophile, der sich lustvoll an Tiere wendet, oder der Koprophile, der sexuell durch Exkremente angestachelt wird. Vor Jahren noch bezeugten die Grünen Verständnis für die Pädophilen, heute aber, igitt, tut das, weil politisch nicht opportun, keiner mehr.

Größten Verständnisses hingegen erfreuen sich heutzutage Menschen mit geschlechtlichen Identitäten, wenn sie vom Üblichem abweichen. Manchen Verlautbarungen gemäß sei mit tausenden nicht-biologisch definierbaren Geschlechtsidentitäten (Gender) zu rechnen. Die F.A.Z. listet einen Teil von ihnen auf (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/geschlechter-liste-alle-verschiedenen-geschlechter-und-gender-arten-bei-facebook-13135140.html). Diejenigen, die sich auf den Standesämtern als „divers“ eintragen lassen, sich also weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen wollen oder können, werden einer behördlichen Hochrechnung zufolge (incl. Mai 2019) allerdings nur auf etwa 150 Personen geschätzt. Für ein Land wie Deutschland sind das nicht viele, eine Minderheit eben, dennoch baut man für sie spezielle Klos.

Ein-Mann-Ideen

Wohl immer haben Majoritäten als Minoritäten begonnen. Meist als eine Ein-Mann-Idee in einem einzelnen Kopf. Ist die Idee zündend und sind die sozialen Umstände förderlich, vermag sie sich über viele Köpfe hin auszubreiten und dann auch Organisationsstrukturen aufzubauen. So geschehen im siebten Jahrhundert durch Mohammed und dem von ihm gestifteten Islam. Heute huldigt dieser Religion ein Viertel aller Menschen. Als noch brisanter erwiesen sich die Leninsche Idee vom Kommunismus und die von ihm installierten „Bolschewiki“. Zwar bedeutet der Name so viel wie „Mehrheitler“, doch sind diese Mehrheitler zunächst nur eine Minderheit gewesen. Schnell aber hatten die Bolschewiki mit ihren Ideen tatsächlich eine Mehrheit für sich eingenommen. Mit ihr beherrschten sie zunächst den europäischen Teil Russlands und ein paar Jahre später das Riesenreich bis hin zum Stillen Ozean.

Für die Politik, die Religionen wie auch für Ideologien gilt, je größer die Zahl ihrer Anhänger, umso stärker die Tendenz zur Aufspaltung. Die Potentaten halten zunächst dagegen, und das mit ideeller, oft auch mit materieller Gewalt. Zumeist erfolglos. Wenn die Sekten trotz des Widerstandes heranwachsen und sich stabilisieren, werden die Sektierer oft genug selbst zu Potentaten und kriegen es dann ihrerseits mit neuen Minderheiten zu tun. Und so gleicht die gesamte Menschheitsgeschichte einem Meer, auf dem aus kleinen Wellen große werden und große bald wieder in kleinere zerfallen. Viele Menschen versuchen, Wellen zu schlagen, meist aber bleibt es bei plätschernden Minderheiten. Andere haben mehr Erfolg, und einige wenige erzeugen wahrhafte Tsunamis.

Wenn ihre argumentative Basis stimmt, ist das gar nicht ungewöhnlich. Der Widerstand der Gegner mag anfangs noch so groß sein, sofern die Belege für die neue Erkenntnis unbestreitbar sind, gehört diese bald zum Weltwissen. Minderheiten, die dann noch immer glauben, widersprechen zu müssen, sterben von selbst aus. Da fallen einem Namen ein wie Galileo Galilei, James Watt, Isaac Newton und Charles Darwin, der von Thomas Alvin Edison, Max Planck, Albert Einstein oder die von Rudolf Diesel und Nicolaus August Otto, den Konstrukteuren der nach ihnen benannten Verbrennungsmotoren.

Ideologie statt Wissenschaft

In den Geisteswissenschaften ist das anders, ebenso in den Religionen und in der Politik und all den Ideologien. Hier geht es kaum jemals darum, ob etwas wahr ist, sondern dass etwas wahr ist. Argumente wie in den Hard Sciences gibt es nicht, nichts nach Art des Ohmschen oder des Hebelgesetzes und nichts, was man wie ein Gen oder ein ganzes Genom analysieren könnte. Wer mit seinen Ansichten dennoch eine Mehrheit hinter sich bringen will, kann sich daher nicht auf Sachargumente beschränken, weit mehr noch bedarf es griffiger Behauptungen (https://www.achgut.com/artikel/die_peruecke_ist_eine_falsche_behauptung). Wer damit um Macht und Pfründe ringt, wird Diskursen, bei denen die Pros und Cons öffentlich und frei ausgetragen werden, tunlichst aus dem Wege gehen. Ja, sie sind strikt kontraindiziert, wenn sich auf der Basis öffentlichkeitswirksamer Behauptungen bereits eine Macht- und Info-Elite herausgebildet hat. Auch für die Universitäten und Hochschulen gilt das, obzwar gerade sie sich als Anwalt der Wissenschafts- und Redefreiheit verstehen sollten. Von ein paar Ausnahmen abgesehen (https://www.achgut.com/artikel/meinungsfreiheit_es_gaert_an_den_universitaeten), machen dort alle mit – so, wie es die Machtelite wünscht. Ideologie tritt dann an die Stelle der Wissenschaft, und in einer Art von Obrigkeitsfrommigkeit werden selbst Absurditäten hingenommen. Nicht nur, wenn es um Karriere und Fördermittel geht. Nein, die Anderen halten ja auch still, und man selbst möchte nicht aus der Masse ausschären und sich damit womöglich Unannehmlichkeiten aussetzen.

Als, wie es so schön heißt, „gelernter DDR-Bürger“ kenne ich mich auf diesem Feld aus. Wenn auch die mit Tabus behafteten Themen damals meist andere waren, zumindest aber ist das volkspädagogische Prinzip im Deutschland von heute wieder ganz ähnlich. Nicht immer müssen ganze Themenfelder ausgeklammert werden, es genügt, missliebige Meinungen stimmlos zu machen. Oft erwächst gerade aus der Einseitigkeit, mit der ein Thema behandelt wird, die Kraft, um aus anfänglicher Indifferenz Mehrheiten zu generieren. Schlagkräftige Argumente („schlagkräftig“ mittlerweile auch im Wortsinne) tun das ihre, um Minderheiten, die vom Mainstream gepflegte Ansichten nicht verstehen können oder wollen, ins Off zu kicken. Beispiel: Klimawandel durch CO2. Wirkungsmächtig angelehnt an Holocaustleugner werden Andersdenkende zu „Leugnern“ gestempelt, ja zu Nazis, Faschisten und Rassisten, neuerdings gern zu „Verschwörungstheoretikern“.

Leugnen um der Wahrheit willen

Was aber nottut, ist der freie Austausch von Fakten und Argumenten. Verschlossen sind die Türen für jene, die sich über die Genetik menschlicher Verhaltensweisen und -leistungen austauschen wollen, über die populationsgenetische Vielfalt der Menschen (Rassen), über die Populationsdynamik in Deutschland und über die in der Welt, namentlich in den Entwicklungsländern. Auch fehlt die freie Diskussion über Geschlecht und Geschlechtsempfinden, inwiefern biologisch begründet oder Ergebnis von Einstellung und Kultur. Wenn es um politische Linientreue geht, machen die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu allen Zeiten immer gern mit. Zuverlässig, wie sie nun mal sind, wird von ihnen nicht oder kaum jemals über die Passfähigkeit von Religionen und Kulturen debattiert und ebenso wenig über die Christenverfolgung in der heutigen Welt.

Wie herrlich frei hingegen die Debatten sind, wenn es um quantenphysikalische Aspekte der Materie geht oder um die Genetik bösartiger Erkrankungen. Da stehen die Türen der Universitäten und Fachgesellschaften weit offen, gern auch für die Ansichten von Minderheiten. Undenkbar aber, wollte man, obschon als Minderheit, eine Diskussion zum Linksterrorismus und dessen Finanzierung anstoßen oder zur Linkslastigkeit in der Politik, zu der in den Medien und im Bildungswesen. So auch ist die Frage nach der Schutzbedürftigkeit, der Passfähigkeit und den Kosten von Immigranten tabu, erst recht die nach Integrationsverweigerern und entsprechenden Konsequenzen. Die Liste der Tabuthemen ist lang und wird immer länger: die Zukunft des Industriestandorts Deutschlands, der Bildungsstand in der Bevölkerung, die fachliche und die moralische Kompetenz von Politikern, das Neutralitätsgebot von staatlichem Rundfunk und Fernsehen, die Zustände bei der Polizei und der Bundeswehr ...

Die Gewinnung von Mehrheiten und die Unterdrückung missliebiger Minderheiten verlangt einigen Aufwand: Agitationsbereitschaft, Framing, Erwerb von Sachargumenten, Überwachung der Ideenlandschaften, Alarmbereitschaft bei Okkupationsgelüsten von der anderen Seite, Parieren abweichender Meinungen, erforderlichenfalls deren Diskreditierung und Diffamierung. Aber es lohnt sich: Ämter winken und Mittel.

Ängste, zielführend oder verheerend

Weit effektiver noch sind Mehrheiten durch Ängste zu gewinnen, gleich ob durch solche mit realem Hintergrund oder mit eigens dafür erfundenem. Eindrucksvoll dominierte über eine lange Zeit hin die Angst vor einem Kernwaffenkrieg. Die ganze Welt stand unter diesem Bann. Obwohl sich die Gefahr kaum verringert hat, vielleicht sogar größer geworden ist, zieht sie als Mobilisierungsmittel nicht mehr. Weil abgenutzt. Viele weitere, politisch gepflegte Ängste gab und gibt es, oft in der Art von Weltuntergangsszenarien: Gentechnik, Waldsterben, Ozonloch, Überflutungen, Dürren, Vereisung, Meeresspiegelanstieg, Atomgefahr, Insektizide, Herbizide, Asteroideneinschlag, Landung von Aliens, Rinderwahn, Schweinegrippe, CO2, NOx, Feinstaub, Ressourcenverknappung, Artensterben. Manche Ängste mit Rundum-Erfolg, doch zumeist von nur begrenzter Wirkdauer.

Bei weitem nicht alle Gefahren, gleich ob real oder überzogen oder gänzlich erfunden, werden politisch zur Angsterzeugung genutzt. Nicht zum Beispiel die Gefahr, sich mit Grippeviren anzustecken. In Deutschland fordert die Influenza Jahr für Jahr hunderte, oft tausende Menschenleben, allein für die Periode 2017/2018 werden 25 000 Influenzatote angegeben. Doch war das kaum eine Schlagzeile wert. Ganz anders das „neue“ Corona-Virus SARS-CoV-2. Es ist weltweit zum Politikum Nummer eins geworden. Über dessen Gefährdungspotenzial wird unter Fachleuten der ganzen Welt gestritten, auch bei uns in Deutschland. Nicht hingegen seitens des politischen Establishments sowie den von ihnen erkorenen Experten und sonstigen Gefälligkeitswissenschaftlern, ebenso nicht oder kaum in den mainstreamnahen Medien. Obwohl die Schäden überzogener Maßnahmen enorm sind. Sie werden sich wirtschaftlich wie auch in den Köpfen der Bürger womöglich über Jahre hinziehen. In gesellschaftspolitischer Hinsicht sind sie nicht kalkulierbar. Für die Mehrheit nicht und nicht für die Minderheiten, die sich mit Sorge umgehört haben und sich fragen, warum die Ohren der Offiziellen gegenüber den Warnungen vor einem überzogenen Lockdown taub geblieben sind. Wozu, fragt man sich, diese wohlorchestriert anmutende Kampagne?

Gleichviel, ich bleibe dabei, eine Minderheit zu sein, eine Ein-Personen-Minderheit. Eine von jenen, die wann, was und wie zu denken und zu sagen (mitunter auch zu schreiben) sie für richtig halten. Noch. 


KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 2. Ausgabe Juni 2020. S. 10-11



KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 2. Ausgabe Mai 2020. S. 10-11


Die Moral ist (k)ein Aal 

Ethik, Gewissen und Sitte, Normen, Werte und Recht, Tugenden, Menschlichkeit und Moralismus, Hypermoral und Unmoral, Gaunermoral, moralische Dilemmata, Haltung, Skrupel, Reue … Begriffe sind das, die mit Moral zusammenhängen, allesamt aber schwer zu definieren sind. Wenn man sie zu fassen meint, erweisen sie sich als schwammig und werden am Ende zur Ansichtssache. 

Thomas Wischnewski: Was nun, Herr Professor Wolf, ist Moral nach Belieben zu formen, ist sie biegsam, gar klitschig wie ein Aal? Oder kann man auf sie bauen? 

Ich glaube, dass Moral als Grundeistellung etwas recht Stabiles ist, sowohl die des Einzelnen wie auch die der Gesellschaft. Vor allem was das Gefühl für das Gute und das Böse anbelangt. Jeder trägt dafür eine innere Messlatte mit sich herum. Die Frage ist allerdings, woran wir diese Messlatte ausrichten und inwieweit wir uns im Einzelfall daran halten. 

Das, was wir gemeinhin als Moral bezeichnen, wird es erlernt, oder ist uns diese „innere Messlatte“ angeboren, also im Erbgut verankert und von daher hirngemacht?

Zunächst die Frage, was überhaupt ist Moral? Die Antwort fällt viel schwerer als man zunächst glauben mag. Um Gewissen geht es da, um sittliche Normen und sittliches Empfinden, und das ist zunächst Sache eines jeden Einzelnen. Damit wirkt er auf seine Familie ein, auf seine Freunde und Kollegen, und diese wiederum nehmen ihrerseits Einfluss auf seine Moralvorstellungen. Die Wechselseitigkeit reicht bis in die höchsten Ebenen, in die der Gesellschaft, für die sich jedoch „höhere Instanzen“ als Moralgeber aufschwingen, die Politiker, Glaubens- und Interessengemeinschaften und, ganz wesentlich, die Medien. Gleich ob von innen heraus entwickelt oder als Vorgaben von außen verinnerlicht, immer erscheint uns unser moralisches Empfinden als gegeben, als selbstverständlich, ist aber längst nicht einfach mit dem gleichzusetzen, was Gesetze, Verordnungen und Paragrafen vorschreiben. 

Wie ist das gemeint?

Wenn ich nachts eine kurvige Landstraße entlangfahre und immer wieder brav abblende, sobald ein Auto entgegenkommt, dann ist der Umgang mit dem Lichtschalter natürlich nicht angeboren. Jedoch befolge ich die Abblend-Regel bestimmt nicht einfach deshalb, weil ich befürchte, andernfalls die Polizei auf den Hals zu kriegen. Nein, wir alle machen das aus einer inneren Haltung heraus. Denn jeder weiß, wie unangenehm, ja gefährlich es ist, von entgegenkommenden Autos geblendet zu werden. Nicht auszudenken, wenn man durch die eigene Unachtsamkeit einen Unfall verursachte, gar den Tod eines Menschen. Wir würden dann von schlimmster Reue gebeutelt. 

Kann man das, was hinter einem derart miesen Gefühl steckt, wissenschaftlich erklären?

Es ist eine Art von innerem Wächter. Missachten wir ihn, entstehen strafende Gefühle. Nicht umsonst spricht man von Gewissens-„Bissen“. Solche inneren Strafmechanismen haben für das Leben in der Gemeinschaft eine große Bedeutung. Ganz sicher war das schon zu Urzeiten so. Umgekehrt, wenn wir etwas Gutes tun, ein weinendes Kind trösten, jemandem eine helfende Hand entgegenstrecken, fühlen wir uns auch selbst gut. Strafende wie Belohnungsgefühle bewirken, dass Regeln des Miteinanders, wenn sie tief innerlich als notwendig, gut und richtig erachtet sind, auch eingehalten werden. Wir sind nun mal durch und durch soziale Wesen, und das bereits von Natur aus. Ebenso ist unsere tierische Verwandtschaft ausnahmslos sozial organisiert. Alle Affenarten befolgen entsprechende, nämlich moral-analoge Regeln. Die sozialen Grundtendenzen sitzen uns allen zusammen tief im Mark, das heißt natürlich: im Gehirn. Sie gelten für uns Menschen durchaus nicht etwa nur deshalb, weil wir die Gemeinschaft und deren Regelwerk als zweckmäßig, als vernünftig, erachten.

 

Woher sollen Ihrer Ansicht nach diese Tendenzen, diese Regeln, stammen? Und die Bereitschaft, sie zu befolgen?

Sie sind über alle Bevölkerungsgruppen dieser Erde hinweg erkennbar, mithin müssen die Grundlagen durch unser Erbgut definiert sein. Gene diktieren die Verschaltung von Nervenzellen im Gehirn und bewirken so ‒ unter anderem ‒ die Programmierung von Verhaltensmustern und -tendenzen. Wir erfahren dies aus dem inneren Erleben heraus, durch Gefühle und die mit ihnen gepaarten Motivationen. Zwar können wir sie benennen, vermögen aber niemanden direkt nachempfinden zu lassen, wie sie sich für uns „anfühlen“. Freude oder Zorn zum Beispiel, Angst oder Schmerz, Durst oder Sympathie. Und ebenso nicht das für das moralische Empfinden so bedeutsame Schamgefühl, das der Empörung, der Reue oder, umgekehrt, das wohlige Gefühl, das uns nach einer guten Tat durchflutet. 

Aber ein Neugeborenes kann sich weder schämen, noch kann es auf etwas stolz sein. Ist das nicht ein Anzeichen dafür, dass solche Gefühle eben doch nicht den Genen entstammen, sondern erlernt werden müssen?

Dies ist ein weitverbreiteter Trugschluss. Zum Beispiel vermag ein Kind erst etwa im achten Monat Angst vor Fremdem zu entwickeln. Obwohl es mit Unbekanntem nie schlechte Erfahrung gemacht hat, kann es das dann plötzlich. Anweisungen aus unserem Erbgut sind es, die auch nach der Geburt noch die Hirnreifung steuern. Und das ganz wesentlich durch die fortschreitende Verschaltung Nervenzellen. Mit ihr entstehen Programme, die – unter anderem – für die Angstfähigkeit sorgen. Freilich werden die Hirnreifungsprozesse bald mehr, bald weniger mit den Erfahrungen in der Umwelt verquickt. 

Wie kann man sich das in Bezug auf Moral vorstellen?

Wenn ein Schüler wegen Faulheit von seiner Lehrerin einen Tadel erhält, muss er eine ganze Menge gelernt haben, um den Grund zu begreifen: Wieso seine Ergebnisse in der Mathearbeit falsch sind und dass er, wäre er fleißiger gewesen, es genauso wie die anderen gepackt hätte. Am schlimmsten für ihn aber ist, dass die anderen, insbesondere die Kathi, die er insgeheim anbetet, ironisch grinsen. Denn das verursacht ein verdammt peinliches Gefühl: Scham. Indes, wie dieses Gefühl „geht“, ist nicht erlernbar. Auch nicht das Erröten durch Weitung der Hautgefäße des Gesichtes, und dass die Körperhaltung – nun schamgebeugt – automatisch nachlässt. 

Da fragt man sich, ob wir nicht viel zu wenig auf die moral-relevanten Gefühle vertrauen. Könnten Sie sich eine Gesellschaft vorstellen, die gänzlich ohne Polizei, ohne Paragrafen und Richter auskommt?

  Durchaus. Die erforderlichen sozialen Regelmechanismen aber funktionieren nur in Gesellschaften, in denen jeder jeden kennt. Man weiß das von naturnah lebenden Gruppen wie auch von kleinen, abgeschiedenen Siedlungen in Zivilisationen unserer Art. Jemand, der gegen die Moral der Gruppe verstößt, fühlt sich durch die Anderen geächtet, und er wird auch geächtet. Sein Ziel ist dann, nichts wie weg, dorthin, wo ihn keiner kennt. Und in der Anonymität der großen Städte bedarf es eben einer installierten Ordnungsmacht. Je größer die Gesellschaften, umso wichtiger sind sie, all die Instanzen mit ihren Vorschriften und Ordnungshütern und staatlichen Strafmaßnahmen. 

Nun gibt es aber doch auch schwere, durch das Recht geahndete Entgleisungen, z. B. solche, für die man als Insasse in einem Gefängnis zu büßen hat. Schlimmer noch: Soldaten können zu Bestien werden, ja, eine ganze Bevölkerung kann moralisch degenerieren. Denken wir an die Nazizeit, an den Stalinismus, das Pol-Pot-Regime, an Nordkorea, den IS.

Abscheu bemächtigt sich unser, aber leider nicht aller, nicht immer oder zumindest nicht im ausreichenden Maße. Die Macher und Mitmacher bedienen sich verheerender Ideologien, und gaukeln zu ihrer moralischen Rechtfertigung vor,  die Anderen, die da auf der anderen Seite, seien wegen ihrer Rasse, wegen ihrer Religion oder ihrer wie auch immer gearteten Auffassungen minderwertig. Nicht Nachsicht verdienten sie, nein, oberstes sittliches Gebot sei deren Unterwerfung oder deren Vernichtung gar! Und, das lehrt nun mal die Geschichte, ein Großteil des Volkes verinnerlicht solche „Lehren“ und pflegt sie als höhere Moral.

Im Kleinen funktioniert so etwas als Gaunermoral. Innerhalb der kriminellen Gruppe mögen hehre Moralvorschriften gelten, aber eben nicht im Sinne der großen menschlichen Gesellschaft und schon gar nicht in dem der Menschlichkeit. Hier wie da wird die Moral tatsächlich zum Aal. 

Es gibt quasi-moralische Zwänge, denen man sich, ohne eigentlich zu wollen, schwerlich entziehen kann. Wie ist das nach Ihrer Ansicht einzuordnen?

Das Anpassungsbedürfnis zeigt sich auf allen Ebenen, dem Partner, der Familie und den Kollegen gegenüber, in der Politik, ja sogar – es sollte sich eigentlich von selbst verbieten – in der Wissenschaft. Der Einrichtung also, die der Wahrheit verpflichtet ist und nur der Wahrheit. Niemals dem Konsens und schon gar nicht der Politik oder dem Geld. Obschon es in der Gegenwart an Beispielen nur so wimmelt. Zu denken sei an den „Klimaschutz“ und an die Energiepolitik oder an irgendwelche Mittel und Mittelchen zum Gesundheitsschutz und deren illusorische Heilsversprechen. Und die Wissenschaft? Sie hält sich für gewöhnlich zurück. 

Oder man streitet sich, wie gerade jetzt zur Zeit der Corona-Pandemie.

Das ist das gute Recht der Wissenschaftler, ja, eine Gewissens-Pflicht. Wissenschaft kann ohne Meinungsstreit nicht gedeihen. Sobald sich die Wissenschaft Wünschen, Haltungen, Ansichten von außerhalb unterordnet, verletzt sie nicht nur ihr Ethos, sondern ist über kurz oder lang am Verlieren. Und mit ihr die Gesellschaft, die die Wissenschaft fördert, die ihrerseits der Gesellschaft im Ringen um die Wahrheit und bei der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu dienen hat. Bei der Beurteilung der Corona-Situation sind gegenwärtig bald mehr, bald weniger scharf zwei Lager von Wissenschaftlern zu erkennen, das der Politikfernen und – das der Anderen, von der FAZ kürzlich als „Hofvirologen“ verspottet. 

Nun gibt es Sachlagen, bei denen die üblichen moralischen Prinzipien in Frage stehen. Ich denke an Kampfeinsätze, an Notwehrsituationen, an Katastrophen.

Sie meinen moralische Dilemmata. Erfahrungen dieser Art gehören zum Schlimmsten überhaupt. Allein die Vorstellung, man gerate auf der Autobahn in eine Massenkarambolage ‒ Tote, Schwerverletzte, überall Menschen, die um Hilfe schreien. Sie möchten helfen, wissen aber nicht wie. Oder Sie sind in Erster Hilfe durchaus geschult, können aber nicht allen helfen. Menschen sterben, weil Sie sich nicht um sie, sondern um andere kümmern.

Anderes Beispiel: Sie müssen zusehen, wie ihr Kind oder ihr Partner leidet und schließlich stirbt, weil kein Spenderorgan zur Verfügung steht. Und Sie selbst? Vielleicht gehörten Sie bislang zu jenen, die aus einem vermeintlich moralischen Grundsatz heraus eine Organspende verweigern? 

Fazit: Moral ist ein Anker, an dem wir festmachen können. Sie vermag sich aber auch wie ein Aal zu schlängeln, und oft gerade dann, wenn weit eher Verlässlichkeit anstünde. Indes, was wären wir, was wäre die Menschheit, ohne sie, ohne die Moral?!



KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 1. April-Ausgabe 2020. S. 11



Viren – winzig, aber oh-oh!

Das neue Virus hat alle anderen Themen vom Markt verdrängt, sogar Greta. Selbst die Uhren würden angehalten, wenn das irgendwie hülfe. Ganz im Nebenher hat man nun auch gelernt, dass es das Virus heißen muss. So wie bei Corpus und Opus – das und nicht der. Auch weiß ein jeder, dass sie klein sind, die Viren, für unser Auge unsichtbar, und trotzdem kreuzgefährlich.

Klein gegen groß, das kennt man von der biblischen Geschichte her: Um den Riesen Goliath zu besiegen, bedurfte es nicht eines noch riesigeren Riesen, nein, der kleine David reichte aus. Seine Steinschleuder war es, die im Kampf gegen die brutale Gewalt obsiegte. Seitdem wurden die Waffen zum einen immer größer und immer gewaltiger – Kanonen, Panzer, Kampfflugzeuge, Raketenwaffen entstanden – und zum anderen, die der Davidschen Art, immer kleiner. Und raffinierter. Heute wiegen sie gar nichts mehr, sie bestehen nur noch aus Information. Entwickelt für einen sehr speziellen Krieg, den Cyber War.

DNA oder RNA, mit Hülle oder ohne

Die Biologie kennt sie schon lange, diese Waffen, die im Eigentlichen nur noch aus Information bestehen. Als Waffenträger dienen die Viren und als Träger für die Information deren Nukleinsäuremoleküle, entweder eine DNA oder eine RNA. Fast immer kommt noch eine Hülle dazu, in die die Nukleinsäure verpackt wird. Winzige Teilchen ergeben sich so, ihre Größe beträgt je nach Virus-Art zwischen einem hundertstel und einem halben Mikrometer (15 bis 450 nm). Ist mit der Infektion die Virusinformation in Form der DNA bzw. der RNA erst einmal in die Zellen eines jeweiligen Wirtsorganismus gelangt, dann diktiert sie, was die Wirtszellen forthin zu tun haben. Vor allem, wie nach dem virus-eigenen Strickmuster weitere Viren zu produzieren sind. Denn die Viren können sich nicht selbst vermehren. Sie sind so raffiniert gebaut, dass sie auf einen eigenen Stoffwechsel verzichten und sich für die Vermehrung den der Wirtszelle ausborgen. Die Viren sind mithin keine „echten“ Lebewesen, vielmehr werden sie von ihren Wirtszellen gelebt! Und das klappt. Seit Urzeiten schon. Mit mindestens zwei Millionen Virusarten wird gerechnet, und diese befallen die Zellen ganz unterschiedlicher Arten von Tieren (unter ihnen eben auch von uns Menschen), von Pflanzen und von Pilzen sowie von den unterschiedlichsten Bakterienarten.

Die Wirtsorganismen sind den Viren nicht etwa hilflos ausgeliefert. Bakterien z. B. produzieren Enzyme, Nukleasen genannt, mit denen sie die Virusnukleinsäure zerschneiden. Hochspezifisch machen sie das, denn die zelleigenen Nukleinsäuren bleiben verschont. Viele Tiere hingegen und mit ihnen wir Menschen nutzen vor allem das Immunsystem, um sich einer Virusinfektion zu erwehren. Dies alles provoziert wiederum die Viren, die Abwehrmaßnahmen der Wirte durch Neuentwicklungen unschädlich zu machen. Ihnen gelingt das mittels zufälliger Änderungen der Virusnukleinsäure, Mutationen genannt. Wiederum rein zufällig funktioniert eine von ihnen, eine unter Millionen, indem sie, ohne die Kampffähigkeit des Virus zu beeinträchtigen, die Abwehrmechanismen der Wirtsorganismen überraschen. Die meisten von uns kennen das aus eigener Erfahrung. Wohlweislich hatte man sich eine Grippe-Schutzimpfung verpassen lassen und erkrankte im nächsten Winter dennoch an einer Grippe. Eben weil sich mittlerweile ein neuer Influenzavirus-Typ entwickelt hat, einer, der von dieser Art der Aktivierung unseres Immunsystems nicht betroffen wurde.

Was ist neu bei dem Corona-Virus?

Ist es überhaupt neu, dieses Virus? Gemessen an unserem bisherigen Kenntnisstand, durchaus. Erstmalig wurde der Erreger Ende des vorigen Jahres in China entdeckt. Seitdem hat er eine der schlimmsten Virus-Epidemien verursacht – eine Pandemie, die womöglich schlimmste überhaupt. Äußerlich unterscheidet sich dieses Virus von anderen Viren durch einen Kranz von Molekülen auf der Hülle, der bei elektronenmikroskopischer Betrachtung einen strahlenartigen Eindruck vermittelt, den einer Corona (lat. Corona – Kranz). Unter vielen weiteren solcher Corona-Viren gibt es sieben Typen, die beim Menschen Krankheiten verursachen, zumeist in der Art einer eher harmlosen „Erkältung“. Anders das ebenfalls zu den Corona-Viren zählende SARS-Virus (Severe Acute Respiratory Syndrome), das in den Jahren 2002/2003 eine Pandemie verursacht hatte. Wegen der engen Verwandtschaft wird die neue, dem chinesischen Wuhan entstammende Virus-Art als SARS-CoV-2 bezeichnet, die Erkrankung als COVID-19.

Die große Frage: Woher kommt das neue Corona-Virus? Naheliegend scheint zu sein, dass es, bislang unentdeckt, die gesamte Zeit über bei irgendeiner Tierart zuhause war und von da durch Zufall oder durch Verzehr auf den Menschen überkommen ist. Verdächtigt wurden Fledermäuse und, besonders wohl, die Schuppentiere, auch Pangoline genannt. Alternativ könnte eine bislang eher harmlose Corona-Virus-Art durch eine Reihe von Mutationen eine so gefährliche Variante hervorgebracht haben. Solchen Vermutungen kommt entgegen, dass es sich bei den Corona-Viren wie auch bei den Grippe-(Influenza)-Viren um Erreger handelt, deren Erbinformation aus RNA besteht. Die RNA ist viel wandlungsbereiter als die DNA, die bekanntlich nicht nur bei uns Menschen die Erbsubstanz stellt, sondern bei sämtlichen echten Lebewesen und so eben auch bei den DNA-Viren.

Karriere auf der politischen Bühne

Bei genauerer Analyse der molekularen Struktur von SARS-CoV-2 treten Besonderheiten zutage, die sich schwerlich als natürlich entstanden interpretieren lassen. Manche Molekularbiologen sehen darin einen Hinweis auf eine künstliche Konstruktion. Das Ergebnis von Biowaffenexperimenten etwa, durch Unachtsamkeit aus einem Labor entwichen? Eine Verschwörungstheorie, schallt es da an allen Ecken und Enden. Mag sein. Der Zukunft vorbehalten bleibt, das Rätsel Coronavirus SARS-CoV-2 zu lösen. Und, vor allem, ein Gegenmittel zu entwickeln. Wer wird der Schnellste sein? Endlich mal wieder unser Deutschland? Immerhin – Ehre, wem Ehre gebührt! – ist von Versuchen zu hören, uns ein ganzes Labor abzukaufen.

Demgegenüber stehen die verantwortungstragenden Politiker unseres Landes in der Kritik. Erst als in Deutschland pro Tag mehr als eintausend neuer Erkrankungsfälle auftauchten, beschloss man rigorose Maßnahmen. „Warum so spät?“ tönt es auf allen Ebenen. Andere Länder waren längst vorangegangen, auch innerhalb der EU. Grenzen dicht, Schengen adé! – ruft es da, während innerhalb Deutschlands noch immer die Kleinstaaterei weitergepflegt wird.

„Es gibt nichts Schlechtes, was nicht auch sein Gutes hätte“, lautet ein Spruch. Sollte die Corona-Pandemie tatsächlich auch etwas Gutes im Gewand führen? 



KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 1. März-Ausgabe 2020. S. IVX-XV



Lesen kurbelt den Hirnmotor an

Dieser Text ist ein Test. Jeder möge sich prüfen, ob er geneigt ist, ihn bis zum Ende durchzulesen, um damit seine Hirnmotoren auf Touren zu bringen.

Lesen ist für den Geist, was sportliche Übungen für den Körper sind. Heißt es. Tatsächlich, beides ist anstrengend, in unserem Sprachgebrauch unterscheiden wir gar nicht zwischen geistig und körperlich anstrengend. Und anstrengend war es, als damals in der ersten Klasse alle die 30 Buchstaben gelernt werden mussten. Man hatte sich zu merken, wie sie heißen, wie sie klingen und zu schreiben sind, und wie daraus Worte und ganze Sätze werden. Es war, als könne man hören, wie da der Hirnmotor brummt. Für uns Erwachsene ist das alles ein Klacks. Wie das Fahrradfahren, das Autofahren und das Schwimmen. Denn das Gehirn entwickelt für wiederkehrende Aufgaben Automatismen, und diese mindern die Anstrengung. So weit, bis wir von der einstigen Mühe gar nichts mehr spüren.

Mit bildgebenden Verfahren (funktionelle Kernspintomografie, Positronenemissions-Tomografie) lässt sich dem Gehirn bei der Arbeit gleichsam zusehen. Wechselnde Muster aus roten und gelben, grünen und blauen Flecken sind zu erkennen. Sie entsprechen Aktivitätszonen, die farblich kodiert werden. Zwar ist das Gehirn immer „irgendwie“ aktiv, selbst im Schlaf bleiben seine Motoren angeschaltet. Die räumliche Verteilung der jeweiligen Aktivitätsmuster aber unterscheidet sich. So eben beim Lesen oder beim Schreiben oder auch, wenn wir nur zuhören. Flüchtiges Lesen stellt sich mit den bildgebenden Verfahren anders dar als das Buchstabieren eines fremdsprachlichen Textes. Und Hirnregionen, die uns Angst oder Wut empfinden lassen oder Spannung oder Mitleid, werden beim Lesen genauso aktiviert, als ob es sich um reale Erlebnisse handelte.

Lesen schafft Wissen, das andere Leute zuvor erworben haben und uns in der Schriftform mitteilen. Grundlage für die Anreicherung von Wissen ist die Lernfähigkeit, für die wir eine ganz besondere Begabung aufweisen. Der Mensch ist ein „Lernwesen par excellence“. Dafür sorgen in unserem Gehirn spezielle Speichermechanismen und Speicherorte. Doch ist darüber trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung bis heute nur Bruchstückhaftes bekannt. Dann mitunter in winzigsten Details. Allerdings eben bleibt im Verborgenen, wie sich diese zu einer geistigen Leistung zusammenfügen. Wir Hirnforscher haben nicht geringste Vorstellung davon, wo im Gehirn der Buchstabe A repräsentiert wird und wie, wo und wie das M und wo und wie das Z. Geschweige denn, wo im Gehirn alle die Bücher und Skripten abgelegt sind, aus denen wir zuvor gelernt haben. Auf welche Weise lässt sich darin blättern, wie sieht das inwendige Lesen der gespeicherten Textstellen aus?

Andererseits wissen Hirnforscher eine ganze Menge darüber, wie die Motoren beschaffen sind, die unsere Hirnleistungen überhaupt erst ermöglichen, so auch die des Lesens. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um molekulare Pumpen für Stoffe, die sie durch die äußeren und inneren Zellgrenzen (Membranen) zu transportieren haben.  Vor allem sind das Ionen, atomare oder molekulare Träger von elektrischen Ladungen also. Diese sorgen für die elektrische Spannung, die an den Membranen anliegen und mit deren Änderung Informationen kodiert und weitergeleitet werden. Insgesamt kommt in unserem Oberstübchen eine Leistung von etwa 20 Watt zusammen – einem Fünftel des Energieverbrauchs unseres Körpers. Immerhin, denn die Hirnmasse entspricht nur etwa 2 Prozent der Körpermasse.

Unser Gehirn verfügt über etwa 100 Milliarden reichlich verzweigter Nervenzellen und etwa ebensovielen Begleitzellen, Gliazellen genannt. Die Nervenzellen bilden jeweils hunderte, zum Teil auch zehntausende hochspezialisierte Kontaktstellen aus, sogenannte Synapsen. Über sie werden Informationen von Zelle zu Zelle ausgetauscht und weitergeleitet. Nur wenige solcher synaptischer Schaltstellen sind erforderlich, um jede der 100 Milliarden Nervenzellen mit jeder anderen zu verbinden – ein wahrhaft gigantisches Schaltwerk. Bald deutlicher, bald weniger deutlich abgegrenzt gibt es darin funktionelle Zentren, die sich von anderen solchen Funktionszentren unterscheiden.

Zum Beispiel lässt sich als Teil der Sprachzentren ein spezielles Lesezentrum nachweisen. Wird es durch einen Schlaganfall außer Gefecht gesetzt, gelingt das Lesen plötzlich nicht mehr. So tragisch das für die Betreffenden auch ist, sind solchen Beobachtungen detaillierte Kenntnisse zur Organisation der Lesebefähigung zu verdanken. Bei Menschen mit einer angeborenen Leserechtschreib-Schwäche ist die Hirnaktivität in diesem Zentrum verringert. Konzentriertes Üben verbessert die Fähigkeiten. Dann heißt es: lesen, lesen, lesen!

Überhaupt ist anzuraten: viel lesen! Lesen bedeutet für das Hirn viel Arbeit, und das tut ihm gut. Mit bildgebenden Verfahren ist dabei ein Mosaik aus aktivitätskodierenden roten, gelben, grünen und blauen Flecken auszumachen, das durch seine Kleinteiligkeit auf eine insgesamt höhere Aktivität schließen lässt. Ganz besonders gilt das dann, wenn Schul- und Lehrbücher verschlungen werden – eine auch im Wortsinn schweißtreibende Arbeit, vor allem in Prüfungszeiten. Menschen, die aus innerem Antrieb oder beruflich engagiert gewöhnt sind, viel zu lesen, halten ihr Gehirn auf Trab. Das erweist sich als gewinnbringend auch im Alter. Und gerade im Alter. Selbst wenn es nur um Romanhandlungen geht, hat sich der Lesende die hier beschriebenen Personen als leibhaft agierende Wesen vorzustellen, deren Handlungen und emotionalen Reaktionen zu verinnerlichen, das Umfeld, die Spannung der Geschichte, Hoffnungen und Enttäuschung muss er nachvollziehen und Zusammenhänge mit früheren Abläufen erkennen. Unbekannte Begriffe zwingen zum Nachschlagen. Nicht alles, aber vieles davon bleibt hängen, die Lektüre verwandelt uns. So, wie das reale Erleben, doch gemessen am Aufwand an Zeit und Mühen und Geld ist Lesen weit effektiver. Besser durch Lesen klug werden als durch Schaden!

In Berichten zur jüngsten PISA-Studie heißt es, bei uns in Deutschland habe jeder fünfte der Neunt(!)-Klässler große Mühe, Texte zu lesen und zu verstehen. An Schulen, die keine Gymnasien sind, sei es fast jeder Dritte, Tendenz steigend. Unser Deutschland, im Weltvergleich gerade mal Mittelfeld! In Sachen Kultur, Wissenschaft und Technik war es einst Vorreiter für die Welt! Nun rätseln die Bildungspolitiker, wie die Lesefähigkeit, eine der Schlüsselkompetenzen, zu steigern sei. Ihre Forderungen sind immer dieselben: mehr Geld, mehr Lehrer, mehr Digitalisierung und überhaupt mehr Anstrengungen. Nicht etwa seitens der Schüler, nein, die Gesellschaft ist gemeint, meistenteils solche also, die lesen können!

Zur Abwechslung sei mal an die Umkehrung gedacht, an Verhältnisse, wie sie früher üblich waren: Diejenigen, um die es geht, die Schüler, sollten sich mehr anstrengen, und das mit spürbaren Konsequenzen! Auch Mutter und Vater müssen ran, Elternteil eins wie zwei, gerade dann, wenn sie vorgezogen haben, fürderhin getrennte Wege zu gehen. Öfter mal versuchen, das auf dem Rücken liegende fernsehende oder mit dem teuren Handy spielende Kind umzudrehen und auf die eigenen Beine zu stellen. Wenn es umfällt, ist das sogar gut, sofern es dadurch lernt, sich selbständig hochzurappeln. Zum Beispiel eben den Hirnmotor durch vieles Lesen auf Touren zu bringen. 



KOMPAKT Zeitung, 9. Jg., 1. Februar-Ausgabe 2020. S. 4 - 5



Sag mir, wo die Ideale sind

Gerald Wolf

Wo sind sie geblieben, die Ideale, die Deutschland einst beseelten? Die seiner Ingenieure, Unternehmer, Erfinder und Entdecker, die seiner Nobelpreisträger, Dichter und Denker. Ideale gelten als Motor, als der vielleicht wichtigste für jeden Einzelnen von uns und nicht minder für die Gesellschaft. Wehe wenn dieser Motor abhandenkommt! Die Wirtschaftsleistung unseres Landes sinkt, woanders steigt sie. Unsere Schwerindustrie, die Chemie-Industrie und die pharmazeutische schwächeln, die Energiewirtschaft steuert auf eine Katastrophe zu. Von der Feinmechanik und Optik und von der Rechentechnik, dereinst Firmen von Weltbedeutung, existieren nur noch Reste. Nun krankt auch noch Deutschlands wirtschaftliches Rückgrat, die Auto-Industrie. Vor kurzem klagte die WELT, „Made in Germany“ leide unter einem drastischen Ansehensverlust. Was ist aus diesem Gütesiegel geworden, existiert es als Ideal überhaupt noch?

Dort, wo die Ideale gepflegt und ihre Meister gefeiert werden, dort blüht es. Zwar gibt es mitunter einzelne Blüten auch an einem ansonsten dürren Baum, aber reichlich finden sie sich nur bei entsprechender Pflege. In der Kunst ist das so, im Leistungssport und nicht zuletzt in der Wissenschaft und der Technik. Letztere sind es, die über das Auf oder Ab einer Gesellschaft entscheiden. Was beim Fußball außer Frage steht, nämlich die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit knallhart über die Zusammensetzung des Kaders entscheiden zu lassen, darf in der Wissenschaft und Technik nicht anders sein, zumindest in deren Spitzenbereich. Keine Quoten, sondern Eliten. Nicht zuletzt im Dienst der Schwachen, die da nicht mithalten können.

Die Selbstverständlichkeit, mit der all das für uns einmal galt, scheint gewichen und nach Asien ausgewandert zu sein. In den Ländern, die vor kurzem noch als Entwicklungsländer galten, sorgt man mit Begeisterung und Verbissenheit für das Vorankommen. Was braucht es außerdem? Geld natürlich. Aber Geld allein tut’s nicht, das sieht man an den reichen Ölstaaten. Die entsprechenden Ideale sind es, die es zu pflegen gilt.

Bildung als Ideal

Wer Schüler in den dynamischsten Staaten des heutigen Ost- und Südostasiens ist, hat für seine Bildung alles zu geben. Die Schulen erwarten das, und die Eltern. So wie einst bei uns, hier in Deutschland. Und heute? Der jüngsten Pisa-Studie zufolge können 21 Prozent unserer 15-Jährigen einen einfachen Text weder lesen noch verstehen – Verhältnisse, die nur noch in Berlin unterboten werden. Häufigste Argumente sind niedriger Bildungsstand der Eltern, Überforderung der Schüler und verstopfte Schul-Klos. Seit jeher liegt der Akzent auf den MINT-Fächern, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes geht. Während in puncto Mathematik und Naturwissenschaften an unseren Schulen nur Mittelmaß zu verzeichnen ist, führen auch hier wieder Andere die Liste an. Zum Beispiel eben die Länder Asiens. Und Estland!

Die Pflege der Wissenschaft ist im Regelfall nicht Sache der Wissenschaftler selbst, sondern die von Funktionären, von – im weitesten Sinne – Politikern. Gleichwohl haben sie ihrer Aufgabe möglichst nahezustehen und die entsprechenden Ideale auch selbst im Herzen zu tragen. Wie steht es damit bei uns in Deutschland?

Üblicherweise legen die für die Bildung zuständigen Sachwalter, wie Politiker überhaupt, eher wenig Wert auf eigenes Wissen. Sie verlassen sich lieber auf das von Anderen, sofern deren Wissen für sie überhaupt erforderlich ist. Vor allem darf es den Auffassungen der eigenen Partei nicht widersprechen. Besser noch, wenn es diesen entgegenkommt. Solcherart Aufgaben verlangen von den Politikern überschaubare Anstrengungen, mitunter geht das sogar ohne Berufsabschluss. Wozu überhaupt konkretes Wissen, Behauptungen tun’s genauso, oft sogar viel besser. Von sperrigen Fakten befreit, lassen sich Behauptungen wunderbar an die Ziele der jeweiligen Meinungs-Konsortien anpassen. Widersprechende Befunde und Auffassungen können in der Öffentlichkeit durch Verschweigen ausgeblendet oder durch Diffamierung unwirksam gemacht werden.

Meinungsfreiheit als Ideal

Artikel 5 unseres Grundgesetzes sollte die Meinungs- und Zensurfreiheit garantieren, konterkariert wird er jedoch durch die Praktiken des derzeitigen politischen Mainstreams. Der bestimmt, was und wie etwas in die Öffentlichkeit gelangt, und was nicht. Als vormaliger DDR-Bürger fühlt man sich erinnert, wie ängstlich auch damals ein jeder „Verantwortungsträger“ bemüht war, die jeweils vorgegebenen Standpunkte und Regeln zu befolgen. So auch heute wieder. Sie werden von Kindesbeinen an gelehrt, im Kindergarten und in den Schulen.

Und an den Hochschulen? In kritischen Fällen hängt es von linksterroristischen Kräften ab, was an unseren Hochschulen gelehrt werden darf, wem zu lehren gestattet wird und wem nicht. Da mit dem früheren Innenminister de Maizière nun sogar Akteure des Mainstreams ausgeschlossen wurden, sah sich unser Bundespräsident zu einer Verlautbarung veranlasst. Ihr zufolge seien gerade die Universitäten der Ort für den Meinungsstreit. Hier auch müsse das Streiten wieder gelernt werden. Denn die Hochschulen wären „der Austragungsort für Kontroversen. Ohne heimlich oder offen verbreitetes Gift. Aber mit Schärfe und Polemik, mit Witz und Wettstreit“. Mehr noch: Die Universität sei „ein Ort der Freiheit aller zum Reden und zum Denken“.

 Indes ist es bei Vorlesungsverboten oder entsprechenden Aussortierungen geblieben. Die krassesten Fälle sind mit den Namen der Professoren Boberowski und Kutschera verbunden. Auch der Autor dieser Zeilen (G.W.) ist davon betroffen. An der Magdeburger Universität hielt er seit etwa 10 Jahren als Beitrag zum Seniorenstudium Vorlesungen, stadtoffen und über eine breite Themenpalette hinweg. Es waren in diesem Rahmen die meistbesuchten Veranstaltungen überhaupt. Mit Beginn des laufenden Semesters wurde ihm die Vorlesungen untersagt. Auch auf mehrfaches Drängen hin ohne Begründung.

Politische Ideale

Die politischen Ideale der klassischen Art, die der Demokratie, Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit, gelten noch immer. Da ist keine Partei, die sie nicht auf ihre Fahnen schreibt, allerdings ohne verbindlich sagen zu können, was man sich darunter im Einzelnen vorzustellen habe, konkret. Unter Freiheit zum Beispiel – welcher Art, für wen und gegen wen?

Politische Ideale sind durchaus nicht immer gut, sie können höchst gefährlich sein. Gerade bei uns in Deutschland gab es solche der verheerenden Art. Wilhelm II. war ein solches, heraus kam der 1. Weltkrieg, oder Hitler mit der Konsequenz Judenverfolgung und 2. Weltkrieg. Auch an „Väterchen Stalin“ sei gedacht. Er hatte es sogar ohne Krieg geschafft, Millionen und Abermillionen Menschen in den Tod zu befördern. Für den Osten Deutschlands war Stalin eher mehr als ein Ideal, er war gottgleich.

Und Gott selbst, der Gott der Juden, Christen und Moslems, der Erschaffer der Welt und der Menschen? In seinem Herrschaftsbereich gab und gibt es bis heute kaum eine Aggression und kaum einen Krieg, ohne dass man sich auf ihn beruft. Und überhaupt, kann dieser Gott als ein Ideal gelten, wenn er die Menschen wegen eines Obstdiebstahls über alle Generationen hinweg aus seinem Paradies vertrieb, Menschen, denen er dann die Sintflut auf den Hals schickte, weil er mit ihnen, mit seiner eigenen Schöpfung, nicht zufrieden war?

Für uns DDR-Bürger gab es mit und nach Stalin ein gänzlich neues Ideal, entsprechend hieß es der Neue Mensch. Später wurde dieses Ideal pädagogisch umgegossen in die Allseitig Gebildete Sozialistische Persönlichkeit, ironisch Homo sovieticus genannt. Man glaubte, wollte zumindest der Bevölkerung glauben machen, dass bei planmäßiger, konsequenter Erziehung nach sowjetischem Muster Menschen erschaffen werden, die als Einheit gewillt sind, dem Sozialismus in unverrückbarer Klassenposition zu dienen und dessen Feinde zu bekämpfen. Auf dass es den Menschen auf der ganzen Erde gut gehe und immer besser. Diese Zeiten schienen überwunden zu sein und mit ihr das Ideal vom neuen Menschen. Doch kommen immer wieder neue Varianten auf.  Jüngst aktualisiert nun durch die Beschlüsse des SPD-Parteitages im Dezember dieses Jahres.

Vom politischen Hauptstrom, dem „Mainstream“, werden die jeweils angesagten Ideale in Fahrt gesetzt. Es sind die Flaggschiffe des politischen Moralismus. Flussabwärts begegnen sie den Menschen, die sich gern vom Hauptstrom umspülen lassen. Darin plätschernd winken sie den Flaggschiffen zu, viele jedenfalls, manche freudig, die meisten eher müde. Andere Schiffe bekommen sie ohnehin kaum zu sehen. Das wollen sie auch gar nicht, weil diese ihr Bild vom vorgefertigten Ideal stören. Und gar gegen den Strom anzuschwimmen, ist ihnen völlig fern. Wozu auch, fragen sie sich. Solange das Wasser trägt und uns warm umspült, lohnt sich das Strampeln nicht.

Klimaschutz als Ideal

Es gibt hierzulande kein Politikfeld, auf dem nicht Versagen zu verzeichnen ist, auch solches der schlimmsten Art. Immerhin bekennen sich die Verantwortlichen dazu, auch die Leitmedien tun’s. Und sie finden im Volk ihrer Wähler Verständnis, denn, wie es zu wissen glaubt, gibt es Schlimmeres: Eine vom Menschen selbst verursachte Klimakatastrophe kataklysmischen Ausmaßes kündigt sich an! Der Klimaschutz hat daher Vorrang, und dafür drückt man gern ein Auge zu. Oder auch beide, schließlich geht es nicht nur um uns, sondern um den gesamten Planeten! Der weitaus größte Teil unserer Bevölkerung anerkennt dieses Bemühen, ist opferbereit und zeigt sich dafür an den Wahlurnen erkenntlich. Für den Machtapparat macht sich die Bevölkerung in ihrer Hinnahmebereitschaft gewissermaßen selbst zum Ideal. Zumal ein Großteil von ihr alle die Faktoren, die das Klima beeinflussen, weder versteht noch überhaupt verstehen will.

Wozu auch etwas Genaueres über die Absorptionsbanden vom CO2 und deren Sättigungsverhalten wissen wollen, über die globale Temperatur und die CO2-Konzentration von vor tausenden und Millionen Jahren hier auf der Erde oder auf dem Mars von heute? Wen schon interessiert die Vielzahl von Klimafaktoren jenseits vom CO2? Die tagtäglichen Berichte von Unwettern, Bränden, Dürren und Überschwemmungen aus aller Welt sprechen doch eine eindeutige Sprache – alles klimawandelbedingt, was sonst? Und der wiederum kommt vom CO2, dem Treibhausgas, wie man es aus den Schloten und Auspüffen quiemen sieht, im Fernsehen. Angeblich soll das CO2 ja unsichtbar sein, aber nicht für alle, Greta Thunberg kann es sehen. Und eben auch im Fernsehen kann man es sehen.

Der Glaube, dass all das, was uns da vom grünen und linken Zeitgeist vorgelegt wird, schon seine Richtigkeit hat, spricht für sich und vermeintlich auch für die Sache. Glaubenssätze sind nun mal weit glaubhafter als irgendwelche Kurven und Tabellen, die von Wissenschaftlern gegengehalten werden samt ihrer haarsträubend langweiligen Thesen. Nicht ohne Grund ist mehr als 90 Prozent der Weltbevölkerung gläubig. Irgendwie jedenfalls. Und nicht ohne Grund kommen die sogenannten Klimaleugner bei uns nicht zu Wort, selbst wenn sie zehnmal Recht haben sollten. Auch Gottgläubige wollen nicht darüber diskutieren, ob es Gott wirklich gibt.

Wirklich aber gibt es Wissenschaftler – weltweit zuhauf, darunter viele Nobelpreisträger –, die gegen die These vom anthropogenen Klimawandel massive Gründe anführen. Sie finden die Maßnahmen zur Umstellung auf erneuerbare „Energien“ wie auch auf E-Mobilität höchst fragwürdig und halten die dazu vorgesehenen Techniken für extrem problematisch. Eine riesige, über die ganze Welt verteilte Lobby finanziere die Kampagnen zum Klimaschutz, sagen sie, und: Die Klimaschutz-Industrie sei ein Billionen-Dollar-Geschäft. Dass 97 Prozent aller Klimawissenschaftler den menschgemachten Klimawandel bestätigen, sei ein dreister, seinerzeit von Obama befeuerter Bluff. Die gegenwärtigen atmosphärischen CO2-Konzentrationen hätten, wenn überhaupt, einen vernachlässigbaren Einfluss auf unser Klima. Weit eher würde die Zunahme des CO2 als atmosphärischer Pflanzendünger wirken und die Begrünung der Erde nachweisbar vorantreiben. Schlimmer noch: Die Datensätze zur globalen Erwärmung würden verfälscht, entweder sei da nichts oder kaum etwas Bemerkenswertes, außer Klima-Hysterie.

Und tatsächlich, die Angst vor einer Klimakatastrophe geht mit Symptomen einer höchst befremdlichen Verzichtbereitschaft einher. In mancher Hinsicht gleichen sie denen der Selbstverletzung beim Borderline-Syndrom.

Diskurs als Ideal

Von all diesen Argumenten erfährt die Allgemeinheit nichts. Öffentliche Diskurse zu den Reizthemen menschgemachte Klimakatastrophe, Sinn und Unsinn energiewirtschaftlicher Maßnahmen oder von atmosphärischen Grenzwerten werden vermieden. Erst kürzlich haben 500 Wissenschaftler (darunter wiederum Nobelpreisträger) einen Brandbrief an den UN-Generalsekretär Guterres geschickt und vorgeschlagen, dass sich auf beiden Seiten der Klimadiskussion ausgewiesene Experten endlich in aller Öffentlichkeit austauschen. Warum auch nicht? Bei der extremen Belastung der Volkswirtschaften wie auch des Privatvermögens eines jeden Einzelnen ist die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung dringend geboten, weltweit und natürlich auch hier bei uns.

Das in Deutschland beheimatete Europäische Institut für Klima & Energie (EIKE) ist eine der staatlich unabhängigen Einrichtungen, die weltweit erschienene Publikationen zu Fragen des Klimas sammelt und ihrerseits weiterverbreitet. Obwohl sich EIKE nach eigenen Worten intensiv bemüht, immer wurde dem Institut ein öffentlicher Diskurs mit Einrichtungen der staatlich geförderten Gegenseite verwehrt.

Anthropogener Klimawandel – Diskursverbot?

Für April 2020 jedoch ist in Magdeburg ein Diskurs vorgesehen, bei dem beide Lager die Kraft ihrer Argumente in aller Öffentlichkeit messen können, die „Klima-Alarmisten“ und die „Klima-Skeptizisten“.